Politische Berichte Nr.02/2024 (PDF)32
Solidarisches Europa

* 31a-Equal Pay Day-juretzek-5.html * 31b-eu-kandidat-trabert-in-mannheim-cornides-5.html * 32-eu-schutz-von-plattformbeschaetigten-rocker-5.html

Europäische Union: Mehr Schutz für Plattformbeschäftigte

Bruno Rocker, Berlin

01 dok: Europäischer Rat – Pressemitteilung vom 11. März 2024 (Auszüge) – Plattformbeschäftigte: Rat bestätigt Einigung über neue Vorschriften zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen

Am 11. März haben die Mitgliedsstatten der EU die neue EU-Plattformrichtlinie verabschiedet.* Erhebliche Bemühungen der belgischen Ratspräsidentschaft für einen Kompromissvorschlag waren dafür nötig. Letztlich führte der Wechsel von Estland und Griechenland auf die Seite der Unterstützer der neuen Richtlinie endlich die erforderliche „doppelte Mehrheit“ (55% der Mitgliedsländer, 65% der EU-Bevölkerung) herbei. Die fortdauernde Verweigerung Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland, die allein ca. 33% der EU-Bevölkerung ausmachen, konnte dadurch überstimmt werden.

Plattformarbeit gilt laut Definition der EU als eine Arbeitsform, bei der Organisationen oder Einzelpersonen über eine Online-Plattform mit anderen Organisationen oder Einzelpersonen in Kontakt treten, um gegen Bezahlung spezifische Dienstleistungen zu erbringen. Plattformarbeit gibt es in vielen Formen und unterschiedlichen Dimensionen. Dazu gehören beispielsweise neben den bekannten Lieferdiensten für Essen und Lebensmittel auch Kinderbetreuung, Altenpflege oder Taxifahrten. Bereits 2022 waren in den rund 500 digitalen Arbeitsplattformen mehr als 28 Millionen Menschen in einer (oder mehrere) dieser digitalen Arbeitsplattformen tätig. Bis zum Jahr 2025 wird von der EU ein Anstieg auf ca. 43 Millionen Beschäftigte erwartet.

Die neue EU-Richtlinie soll erstmals diesen online-basierten Parallelarbeitsmarkt regulieren, auf dem derzeit Internetunternehmen zum Teil systematisch gesetzliche und tarifliche Standards unterlaufen bis hin zu Arbeitsbedingungen, die menschenunwürdig sind. Zuvor hatte Spanien als erstes EU-Land mit seinem sogenannten „Rider-Gesetz“ erste Regulierungen vorgenommen. Nicht nur, aber oft handelt es sich bei den über Plattformen Beschäftigten um Menschen, die jung sind, einen Migrationshintergrund haben und sich in einer prekären Lage befinden. Sie unterliegen der Kontrolle der Plattformen, verdienen nur sehr wenig, sind oftmals daran gehindert, sich gewerkschaftlich zu organisieren und werden in vielen Fällen bei ihrer Arbeit über Apps gesteuert. Dennoch werden sie oftmals mit einhergehendem Verlust aller Arbeitsschutzrechte sogar als „Selbstständige“ eingestuft.

Seit Jahren engagieren sich zusammen mit Initiativen aus der Plattformarbeit die Gewerkschaften in Europa gegen diese Herausforderungen. Ein Schutz der Beschäftigten, wie jetzt durch die neue EU-Richtlinie auf den Weg gebracht, war längst überfällig. In erster Linie geht es dabei um die Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit sowie um die Regulierung von automatisierten Überwachungs- oder Entscheidungssystemen. Gegenüber der jetzigen Praxis handelt es sich um echte Verbesserungen, die aber erst noch umgesetzt werden müssen (siehe auch die Pressemitteilung des Rates).

* Richtlinie: data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-7212-2024-ADD-1/de/pdf, Foto: Autor

Abb: Foto: Handystop: Neuer Auftrag?

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dok: Europäischer Rat – Pressemitteilung vom 11. März 2024 (Auszüge) – Plattformbeschäftigte: Rat bestätigt Einigung über neue Vorschriften zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen

Das ist der erste EU-Rechtsakt, mit dem das algorithmische Management am Arbeitsplatz reguliert wird und EU-Mindeststandards zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Millionen von Plattformbeschäftigten in der gesamten EU gesetzt werden. Die heute bestätigte Einigung baut auf der Arbeit früherer Ratsvorsitze auf und bekräftigt die soziale Dimension der Europäischen Union.

Pierre-Yves Dermagne, belgischer Vizepremierminister und Minister der Wirtschaft und der Arbeit

Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit in der Plattformarbeit

Der vereinbarte Text sorgt für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Achtung der nationalen Arbeitssysteme und der Gewährleistung von Mindeststandards für den Schutz der mehr als 28 Millionen Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen in der gesamten EU arbeiten.

Im Mittelpunkt des Kompromisstextes steht eine gesetzliche Vermutung, die dazu beitragen wird, den korrekten Beschäftigungsstatus von Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, zu bestimmen:

• Die Mitgliedstaaten werden in ihrem Rechtssystem eine gesetzliche Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses festlegen, die ausgelöst wird, wenn Tatsachen auf eine Kontrolle und Steuerung hindeuten.

• Diese Tatsachen werden nach nationalem Recht und Kollektivverträgen festgestellt, wobei die EU-Rechtsprechung zu berücksichtigen ist.

• Personen, die Plattformarbeit leisten, ihre Vertreter oder nationale Behörden können sich auf diese gesetzliche Vermutung berufen und ihre Falscheinstufung geltend machen.

• Es obliegt der digitalen Plattform nachzuweisen, dass kein Beschäftigungsverhältnis besteht.

Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten digitalen Plattformen und nationalen Behörden bei der Einführung der neuen Maßnahmen Leitlinien an die Hand geben.

Regulierung des algorithmischen Managements

Durch die mit dem Parlament erzielte Einigung wird sichergestellt, dass Beschäftigte ordnungsgemäß unterrichtet werden, wenn automatisierte Überwachungs- und Entscheidungssysteme unter anderem in Bezug auf ihre Einstellung, ihre Arbeitsbedingungen und ihren Verdienst zum Einsatz kommen.

Außerdem wird der Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme für die Verarbeitung bestimmter Arten personenbezogener Daten von Personen, die Plattformarbeit leisten, – wie etwa biometrische Daten oder ihr emotionaler oder psychischer Zustand – verboten.

Die menschliche Aufsicht und Bewertung, einschließlich des Rechts auf eine Erklärung und Überprüfung der Entscheidung, werden auch in Bezug auf automatisierte Entscheidungen gewährleistet. Nachdem die förmlichen Schritte des Annahmeverfahrens abgeschlossen sind, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Bestimmungen der Richtlinie in ihr nationales Recht umzusetzen.

PM: www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2024/03/11/platform-workers-council-confirms-agreement-on-new-rules-to-improve-their-working-conditions/