Aus Politische Berichte Nr. 7/2018, S.09 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Bald auch in Hamburg: Individuelle Kennzeichnung für Polizeibedienstete

Christiane Schneider, Hamburg

Vor kurzem kündigte die Hamburgische Innenbehörde an, nun auch in Hamburg die individuelle Kennzeichnungspflicht einführen zu wollen. In acht Bundesländern gibt es sie bereits, leider hat NRW sie kürzlich wieder abgeschafft. Auch in Hamburg gilt sie schon lange für Polizeibedienstete auf der Straße, aufgrund einer Vereinbarung zwischen Personalrat und Innenbehörde, nicht aber für Bereitschaftspolizei in geschlossenen Einsätzen, also vor allem bei Demonstrationen oder Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit Fußballspielen. Gerade hier sind Polizisten jedoch aufgrund ihrer Schutzkleidung praktisch nicht zu identifizieren.

FAZ zur Vorgeschichte

„Lange schon wird in Hamburg über eine Kennzeichnungspflicht gestritten, mit der Polizisten auch in Einsätzen bei Demonstrationen identifizierbar sein sollen. Und lange schon schienen die Fronten verhärtet. Immer wieder war von Linkspartei und Grünen eine Kennzeichnungspflicht gefordert worden. Die SPD hatte zwar auch schon dementsprechende Beschlüsse auf Parteitagen gefasst, aber war als Regierungspartei doch zurückhaltend aufgetreten. Die Grünen nehmen für sich in Anspruch, in den Koalitionsvertrag den Satz hineinverhandelt zu haben, dass man „zügig“ mit Polizeigewerkschaften Gespräche aufnehmen werde, um zu prüfen, ob man eine Kennzeichnungspflicht einführen könne bei der Bereitschaftspolizei. In neun Ländern gibt es eine solche Pflicht bereits. In Hamburg passierte trotzdem erst mal nicht viel.

Erst in den vergangenen Wochen kam Bewegung in das Thema. Auch als Folge der G-20-Aufarbeitung. Die Linkspartei stellte eine Große Anfrage an den Senat, es ging um die Ermittlungen gegen Polizisten. Aus der Antwort ging nicht nur hervor, dass es noch keine Anklage gegen Polizisten gebe. Sondern auch, dass es in elf Fällen nicht möglich gewesen sei, die Vorwürfe weiterzuverfolgen. Man habe die Identität des Beamten nicht feststellen können. Die Linkspartei sah sich bestätigt und stellte einen Antrag zur Kennzeichnungspflicht, die FDP tat es ebenso. Der Innenausschuss beschäftigte sich mit dem Thema, gerade erst gab es eine Expertenanhörung. Das parlamentarische Verfahren nahm Fahrt auf, eine Anhörung des Senats wäre die nächste Stufe gewesen. Nun ist durch Grotes Ankündigung aber schon klar, was der Senat plant.“ (25.6.)

Aktuelle Stunde in der Bürgerschaft

Für die Fraktion die Linke Christiane Schneider: „Vor fast genau drei Monaten diskutierten wir an diesem Ort über die Anträge der Linken und der FDP zur Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete. Die Anträge wurden überwiesen. Ich erinnere mich, dass ich ankündigte, dass wir uns nicht damit abfinden werden, falls die Regierungsfraktionen erneut die Problematik aussitzen wollten.

Deshalb freue ich mich heute, dass sich die Koalition nach der noch einmal sehr interessanten ExpertInnenanhörung im Innenausschuss entschlossen hat, die Kennzeichnungspflicht einzuführen. Das ist eine gute Entscheidung, und das sage ich gerne. Deshalb ist es für uns in diesem Fall zweitrangig, dass die Innenbehörde die Entscheidung gefällt hat, bevor die parlamentarische Beratung abgeschlossen ist – obwohl das gegenüber der Bürgerschaft nicht gerade von Respekt zeugt.

Für uns war die Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht auch in geschlossenen Einsätzen ein wichtiges Anliegen, seit wir 2008 in die Bürgerschaft eingezogen sind. Wir haben seither vier Anträge gestellt, viele Anfragen, zuletzt die Große Anfrage zu Verfahren gegen Polizeibedienstete, die öffentliches Interesse an der Problematik der Identifizierbarkeit von Polizeibeamten hervorgerufen hat. Wir sind aber froh, dass nicht nur wir, sondern auch andere Fraktionen und Mitglieder der Bürgerschaft auf dieser Baustelle gearbeitet haben, sodass am Ende einer langen Auseinandersetzung eine hoffentlich gute Lösung im Sinne der Stärkung der Grund- und Bürgerrechte erreicht wird.

Es ist wirklich bedauerlich, dass die CDU diesen Schritt nicht mitgehen will. Ich möchte auf das mantramäßig und auch heute wieder vorgetragene Argument eingehen, die Forderung nach der Kennzeichnungspflicht beruhe auf Misstrauen.

Das ist ja wahr: Bürgerrechte als Freiheits- und Abwehrrechte sind – und ich sage: notwendiges – Misstrauen in den Staat, der dazu tendiert, in die Freiheitssphäre des Menschen eindringen zu wollen. Deshalb will ich den Vorwurf allgemein nicht zurückweisen. Ich kann ihn nur als Vorwurf nicht akzeptieren. Auch der Richtervorbehalt bei bestimmten polizeilichen Maßnahmen – z.B. dem Einsatz Verdeckter ErmittlerInnen – beruht letztlich auf Misstrauen. Die Konstruktion der Gewaltenteilung, nehmen wir die Kontrolle der Exekutive durch die Legislative, beruht auf Misstrauen.

„Misstrauen“ – und hier zitiere ich jetzt den Juristen und langjährigen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Adolf Arndt: „Misstrauen ist eine demokratische Tugend. Wo Misstrauen nicht wacht, wächst kein Vertrauen. Ohne Vertrauen kann ein Staat den Tag nicht überdauern.“

Es geht uns aber ausdrücklich nicht um ein spezielles Misstrauen gegen Polizei, es geht uns nicht um ein Feindbild, wie dies Herr Wendt suggeriert, der es mit Recht und Gesetz persönlich bekanntlich nicht so genau nimmt. Es geht uns um das Recht der Bürgerinnen und Bürger, ihr polizeiliches Gegenüber im Zweifelsfall identifizieren zu können. Das ist umso wichtiger, als die Polizei Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols ist. Transparenz und Kontrolle sind ein demokratisches Gebot.

Dieses Recht der Bürgerinnen und Bürger korrespondiert im Übrigen mit der persönlichen Rechenschaftspflicht der Beamten. Sie ist im Europäischen Kodex für Polizeiethik, den das Ministerkomitee des Europarats 2001 verabschiedet hat und der für die Mitgliedstaaten den Charakter einer Selbstverpflichtung hat, folgendermaßen formuliert:

„BeamtInnen mit Polizeibefugnissen sind auf allen Rangstufen persönlich verantwortlich und rechenschaftspflichtig für ihr eigenes Tun und Unterlassen oder für ihre Anweisungen an Untergebene.“ (Artikel 16) Und im Kommentar zu einem weiteren Artikel (45) heißt es:

„Ohne die Möglichkeit, eine/n Polizisten/in persönlich zu identifizieren, wird der Begriff der Rechenschaftspflicht aus der Perspektive der Öffentlichkeit sinnentleert.“

Wir nehmen, als Bürgerschaft, die Perspektive der Öffentlichkeit, das heißt der Bürgerinnen und Bürger ein, ohne berechtigte Belange der Polizeibediensteten aus dem Auge zu verlieren. Deshalb unterstützen wir aus Überzeugung, dass zur individuellen Kennzeichnung nicht der Name, sondern eine codierte Kennzeichnung verwendet wird. Wir werden den weiteren Prozess konstruktiv und kritisch begleiten.“ (27.6.)

Deutschlandfunk,4.7.18 : Fragen und offene Wunden – Hamburg ein Jahr nach dem G20-Gipfel. Gesprächsgäste: Andy Grote, Innensenator der Stadt Hamburg. Christiane Schneider, Die Linke, Abgeordnete der Bürgerschaft Hamburg, Sieghard Wilm, Pfarrer, St.-Pauli-Kirche Hamburg, Simone Buchholz, Autorin und Anwohnerin. Cord Wöhlke, Inhaber der Drogeriemarktkette Budnikowsky, Hamburg, Rafael Behr, Soziologe, Akademie der Polizei. Axel Schröder, Landes-Korrespondent des Deutschlandradios“. Link zur etwa einstündigen Sendung des Deutschlandfunks: (Podcast): https://www.deutschlandfunk.de/laenderzeit.1770.de.html