Aus Politische Berichte Nr. 7/2018, S.19 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Von Klärung auf dem Bundesparteitag nichts zu spüren

Migration, Kampf gegen Rechts und Europa zerreißen Die Linke weiter

01 dok: Erklärung des „Besonderen Treffens“ des fds vom24.6.2018

Wolfgang Freye, Essen *

„Die Linkspartei hat einiges zu klären“, titelte die Zeitung „Neues Deutschland“ am 9.6.2018, während des Bundesparteitages der Partei Die Linke in Leipzig. Nach dem Parteitage kann man feststellen: Es ist nichts geklärt, vielmehr ist die Partei zerrissen, Lösungen zeichnen sich nicht wirklich ab. Die wesentlichen Themen sind dabei die Positionen zu Flüchtenden und Migration, zum Kampf gegen Rechts, zu Europa und der von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht betriebenen Sammlungsbewegung.

Inhaltlich versuchten sowohl der Parteivorstand als auch die Mehrheit der Bundestagsfraktion, die Konflikte unter der Decke zu halten. Der mit vielen Änderungen verabschiedete Antrag des Parteivorstands „Die Linke – Partei in Bewegung“ hat zwar recht deutlich die Positionen der Parteispitze gestärkt. Er spricht sich gegen das „Sterben im Mittelmeer“ z.B. für legale Fluchtwege und offene Grenzen aus. Zum Kampf gegen den Rechtsruck enthält er die klare Aussage: „Wer die Rechten bekämpfen will, darf ihren Forderungen nicht nachgeben und ihre Redeweise nicht übernehmen.“ Er beschränkt sich aber in vielen Punkten auch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und Allgemeinplätze wie den Vorschlag zu einer „soziale Offensive“.

Die nötige Debatte zur Migrationsfrage wurde aber ausdrücklich verschoben – stattdessen wurde der Parteivorstand beauftragt, eine „organisierte Diskussion“ dazu „anzustoßen“ – in den Gremien, und nicht bei Twitter, Facebook oder in der Neuen Züricher Zeitung. Der undurchsichtige Vorstoß von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht zu einer Sammlungsbewegung spielte in den Debatten kaum eine Rolle. Außer dem früheren SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler sind keine namhaften Unterstützer bekannt.

Wahlergebnisse als „Denkzettel“

Die Zerrissenheit und entschiedene Machtkämpfe wurden deshalb zunächst in Wahlergebnissen deutlich. So wurden Katja Kipping und Bernd Riexinger zwar als Parteivorsitzende wiedergewählt, aber mit deutlich schlechteren Ergebnissen als beim letzten Parteitag (Kipping 64,5 %, Riexinger 73,8 %). Beim einzigen Amt im Geschäftsführenden Vorstand, bei dem es eine Gegenkandidatur gab, ging es dann um 3 Stimmen: Jörg Schindler, Rechtsanwalt, stellv. Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt und von den Parteivorsitzenden unterstützt, wurde im zweiten Wahlgang mit 265 Stimmen gewählt. Frank Tempel, Kriminalbeamter, früherer Bundestagsabgeordneter und nun Mitarbeiter der Bundestagsfraktion, der Dietmar Bartsch nahesteht, erhielt 262 Stimmen. Die Anzahl der stellvertretenden Vorsitzenden hatte der Parteitag kurzerhand um zwei aufgestockt, um Gegenkandidaturen zu vermeiden.

Zum offenen politischen Eklat kam es erst am Sonntag bei und nach der Rede von Sahra Wagenknecht. Sie machte deutlich, dass sie keinen Grund sieht, ihre bisherige Linie zu überdenken, verteidigte sie heftig und machte sich mit einer überspitzten Darstellung der Kritik zum Opfer. „Wenn mir und anderen Genossinnen und Genossen aus den eigenen Reihen Nationalismus, Rassismus oder AfD-Nähe vorgeworfen wird, dann ist das das Gegenteil von einer solidarischen Debatte.“ Die AfD bezeichnete sie dann jedoch als eine „nur teilweise faschistische Partei“ – was immer das sein soll – und über die AfD-Wähler sagte sie zumindest mehrdeutig und in deutlichem Gegensatz zum oben zitierten Beschluss: „Wir erreichen sie nur, wenn wir ihre Sprache sprechen.“ Als „unglücklichste Formulierung des Parteitages“ oder auch krasser bezeichneten viele Medien den Satz: „Den Hungernden in Afrika nützen offene Grenzen nichts.“ Er führte zu tumultartigen Szenen.

Im Anschluss daran beantragte die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach eine einstündige Debatte zum Thema Migration. Begründung: „Sahra, Du zerlegst gerade die Partei.“ Der Antrag wurde mit einer Stimme Mehrheit angenommen – so dass es doch noch eine Diskussion zur Migrationsfrage gab.

Dabei wurde jedoch vor allem noch einmal klar, dass keine Seite die richtigen Antworten hat. Wer die Abschottung gegenüber Migration oder sogar gegenüber Flüchtlingen vertritt, stellt sich damit auch gegen eine offene Gesellschaft als Voraussetzung von Emanzipation. Im schlimmsten Fall wendet er sich gegen Menschenrechte wie das Recht auf Asyl – wobei es besonders perfide ist, Flüchtende gegen Migranten oder Arme gegen andere Arme auszuspielen. Wer demgegenüber für offene Grenzen eintritt, ist gegen Abschottung, gewonnen ist dadurch jedoch auch noch nicht viel. Denn wer es Ernst meint, muss auch konkret sagen, wie offene Grenzen erreicht werden können. Stattdessen lehnen viele Befürworter der Formel es ab, über konkrete Regelungen, wie sie z.B. mit einem Einwanderungsgesetz erreicht werden können, auch nur nachzudenken.

Europäische Linke ebenfalls in Krise

Keine große Rolle spielte auf dem Bundesparteitag die Diskussion um die Zukunft Europas, obwohl es gerade in diesem Raum offene Grenzen einschließlich Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt ja seit Jahren gibt. Die Krise der EU ist offenkundig, sie droht zu scheitern und die Reaktionen in der Partei Die Linke reichen von großer Besorgnis über Ratlosigkeit bis hin zu offener Häme.

Gregor Gysi thematisierte das in seiner mit viel Beifall bedachten Rede als Vorsitzender der Europäischen Linken: „Wir dürfen uns vom Grundwert des Internationalismus nicht verabschieden … Die Herausforderungen verlangen die Europäische Integration und nicht die Rückkehr zum Nationalstaat.“ Wie unterschiedlich dies auch bei den europäischen Linksparteien gesehen wird, macht der Austritt der Parti de Gauche aus der Europäischen Linken deutlich, nach dem Linken Bundeparteitag. Kräfte innerhalb und außerhalb der Europäischen Linken, die in Richtung Austritt aus der EU und damit zurück zum Nationalstaat tendieren, prüfen zur Zeit eine engere Zusammenarbeit oder womöglich die Gründung eines eigenen Zusammenschlusses in Europa. Damit ist im neuen EU-Parlament womöglich auch die Zusammenarbeit in der Fraktion GUE/GNGL gefährdet, die derzeit noch über die in der Europäischen Linken organisierten Parteien hinausgeht.

Auch hier gibt es also erheblichen Klärungsbedarf. Zur Frage der Migration sind nach der heftigen einstündigen Debatte eine Klausur von Fraktion und Parteivorstand und eine Konferenz vereinbart worden. Die Haltung der Partei Die Linke zur EU muß im Vorfeld der Europawahlen ein Stück weit geklärt werden. Zur Verabschiedung des Programms wird der nächste Bundesparteitag im Winter der stattfinden. Herauskommen wird dabei nur etwas, wenn es gelingt, die weitere Diskussion zu versachlichen. Dabei würde es ja schon helfen, wenn die strittigen Fragen als zu klären eingestuft werden, statt festgefahrene Positionen zu verfestigen. Darauf werden sich nach aller Erfahrung jedoch nicht alle Akteure einlassen.

* Wolfgang Freye nahm als Delegierter der ArGe Konkrete Demokratie – Soziale Befreiung am Bundesparteitag teil.

Abb. (PDF): Christiane Schneider, eine der Herausgeberinnen dieser Zeitschrift, bei ihrer Vorstellung für den Parteivorstand. Sie wurde mit einem guten Ergebnis gewählt.

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Wolfgang Freye. Essen. Die Strömung Forum Demokratischer Sozialismus (fds) ist zerrissen. Ein Teil der ihm nahestehenden Kräfte in der Bundestagsfraktion pflegt nach wie vor eine enge, mehrheitsbildende Zusammenarbeit mit den Anhängerinnen und Anhängern von Sahra Wagenknecht und anderen. Andere stellen zunehmend fest, dass etliche Positionen dieses Lagers ihrem Grundverständnis widersprechen. Unmittelbar vor dem Bundesparteitag sind mehrere bekannte Mitglieder des fds wie Udo Wolf (Fraktionsvorsitzender in der Berliner Bürgerschaft) ausgetreten – ausdrücklich mit der Begründung, dass sie eine Kritik des fds an den Positionen, die Bürgerrechte gegen soziale Interessen ausspielen vermissen. Auf dem Parteitag scheiterte das fds sowohl mit inhaltlichen wie mit personellen Vorschlägen weitgehend. In der folgenden, bei einem „Besonderen Treffen“ des fds am 24.6. beschlossenen Erklärung werden daraus erste Konsequenzen gezogen. Bei der Forderung nach einem „grundsätzlich anderen Politikverständnis“ stellt das fds sein fraktionelles Wirken allerdings nicht in Frage, obwohl gerade da wahrscheinlich auch ein Problem liegt.

dok Erklärung des „Besonderen Treffens“ des fds vom24.6.2018

Die Linke mit all ihren Biografien und Zugängen zur Politik stärken – Für ein grundsätzlich anderes Politikverständnis

Der Bundesparteitag ist gerade einmal zwei Wochen her. Durch den bayerischen Teil der Bundesregierung wird eine Unmenschlichkeit nach der anderen vorgeschlagen, jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Aus der Bundesregierung selbst ist kein nennenswerter inhaltlicher Widerstand erkennbar.

In dieser Zeit kommt es auf eine starke Linke und erst recht Linke an. Eine Linke, die widerspricht und klar macht, auf welcher Seite der Barrikade sie steht. An der Seite der Schwachen und Schwächsten, an der Seite der liberalen Errungenschaften des Rechtsstaates und an der Seite der Menschlichkeit. Das tut die Linke im Übrigen im Zweifel auch dann, wenn sie damit nicht die Mehrheit der Bevölkerung vertritt – weil Mehrheiten aus Überzeugung und Haltung entstehen, nicht wenn man dem Wähler nach dem Munde redet.

Die Linke vertritt freiheitliche Werte gleichberechtigt neben dem Anspruch, für alle ein Leben in sozialer Sicherheit zu garantieren, moralische Integrität ist eine Grundlage linken Handelns. Wir haben keinerlei Verständnis, wenn das Engagement vieler Tausender für Geflüchtete dadurch diffamiert wird, dass man Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz als „Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten“ beschreibt. Derartige Entgleisungen sind ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich für Weltoffenheit, Antirasissmus und Minderheitenrechte engagieren.

Gleiches gilt für Positionen, nach der „Minderheitenrechte und Antidiskriminierungspolitik heuchlerische Facetten eines politischen Programms (sind), das sich als edel, hilfreich, solidarisch und gut inszeniert, obschon seine Protagonisten ihrem Wunsch nach einem Leben in bescheidenem, halbwegs gesichertem Wohlstand seit jeher mit völliger Gleichgültigkeit, ja Verachtung begegnen“.

Wir erwarten von allen unseren Genossinnen und Genossen gleich welcher Funktion oder Ebene, insbesondere aber von denen in herausgehobenen Positionen, dass sie Menschen, die sich für Minderheitenrechte und Antidiskriminierungspolitik einsetzen, in ihrer Arbeit unterstützen und nicht mit haltlosen Unfug diskreditieren. Es ist Aufgabe der Linken und es entspricht unserem Politikverständnis, sowohl Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz als auch Umverteilung von oben nach unten einzufordern. In einer Zeit wo unter solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org/ ein breites Signal für Solidarität gesammelt wird, erwarten wir Rückendeckung aus der eigenen Fraktion und nicht Querschüsse.

Es widerspricht unserem Verständnis von linker Politik, einen Widerspruch zwischen der Stärkung der Rechte formal ausgegrenzter und diskriminierter Minderheiten, der sozialen Ungleichheit und schmilzendem Wohlstand der Mitte aufzumachen, als wäre dies zwangsläufig oder das eine wichtiger als das andere.

Es ist an der Zeit wieder auszusprechen, wer für soziale Ungleichheit, schmilzenden Wohlstand, Klimawandel und das Ausspielen der Schwachen gegen die noch Schwächeren verantwortlich ist. Nicht diesen Zusammenhang zu verschleiern. Auch liesse sich sauber herleiten, wie dieser unser Wohlstand und das entsprechende Wohlstandsgefälle zu den nun Flüchtenden denn entstehen konnte. Verantwortlich ist und bleibt: der Kapitalismus. Diesen zu überwinden ist unsere Aufgabe. Dafür braucht es eine starke Linke.

Ginge man so an die Sache heran, würde man auch nicht erneut Geflüchtete zu Sündenböcken machen, indem man die „Aufnahme Hunderttausender Zuwanderer, vor allen in den Jahren 2015 und 2016“ verantwortlich macht für „akute Probleme wie den Mangel an Sozialwohnungen und Kita-Plätzen oder die hoffnungslose Überforderung von Schulen in sozialen Brennpunkten“. Diese Probleme sind auch ohne Geflüchtete vorhanden und es ist Aufgabe der gesellschaftlichen Linken dieser Verantwortungszuschreibung zu widersprechen, statt sie zu bedienen.

Nicht die Wirtschaft und die großen Unternehmen regieren das Land in den Abgrund, sondern eine große Koalition, die, wenn man sie gutmütig betrachten möchte, aus Angst vor dem Tod Selbstmord begeht. Es sind diese Zustände, die wir ändern müssen. Dafür müssen auch wir uns ändern. Packen wir’s an!