Aus Politische Berichte Nr. 04/2019, S.06 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Spanien vor der Wahl

Hans Marin, Mannheim

Noch wenige Wochen bis zur landesweiten Wahl in Spanien am 28. April und die Lage könnte unübersichtlicher kaum sein. Den Umfragen nach wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Lagern geben. Die PSOE (Sozialdemokraten) wird stärkste Partei, aber für eine Regierungsbildung wird es unter Umständen nicht reichen, weil die anderen linken Kräfte eher an Stimmen verlieren werden. Die PP („Partido Popular“, konservativ/christdemokratisch) könnte es dagegen schaffen, wenn sie bereit ist, mit den Ciudadanos (dt. „Bürger“, konservative Protestpartei, 2006 als Regionalpartei in Barcelona gegründet, seit 2015 in ganz Spanien vertreten) und der VOX (Rechtsextreme) eine Koalition einzugehen.

Der Zustand der Parteien

Dieser Kurs ist wohl in der PP nicht ganz unumstritten, aber Casado, der Spitzenkandidat der PP, hat die Kandidatenlisten so zugeschnitten, dass er kaum mit Widerstand rechnen muss. Die PP insgesamt ist unter Casado weit nach rechts gerückt und führt auch den Wahlkampf vorwiegend mit rechten Themen.

Die Ciudadanos waren lange im Aufwind, träumten davon, die stärkste Kraft des rechten Lagers zu werden, verlieren aber gerade etwas an Boden. Die frühe Festlegung ihres Spitzenkandidaten Albert Rivera, nicht mit der PSOE koalieren zu wollen und sich damit in ein Lager zu begeben, erzeugt internen Widerspruch. Dazu kommen noch ein paar hausgemachte Skandale, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es offensichtlich Unkorrektheiten bei der Listenerstellung für die Kandidaten gegeben hat.

Sowohl PP als auch Ciudadanos betrachten mit Sorge, wie die dritte Kraft des rechten Lagers, VOX, abschneiden wird. Die Partei wurde 2013 als Abspaltung von der PP gegründet, und bündelte die offen franquistischen Kräfte, denen die damalige PP zu weit in die Mitte gerückt war. Ihren ersten großen Erfolg hatte sie bei den Regionalwahlen in Andalusien Ende 2018, als sie völlig überraschend zwölf Sitze errang und mit diesen die Regierungsübernahme einer rechten Koalition in Andalusien ermöglichte. Die Rolle der Mehrheitsbeschafferin könnte ihr auch nach diesen Wahlen zufallen.

Auch wenn sich die veröffentlichten Umfragen stark widersprechen, so gehen sie doch allen von der Tatsache aus, dass die PSOE als stärkste Kraft aus dieser Wahl hervorgehen wird. Selbst unter der Voraussetzung, dass der rechte Block nicht die absolute Mehrheit erreicht, müsste sich die PSOE, um zu regieren, mit den übrigen linken Kräften und den verschiedenen nationalistischen Parteien des Baskenlandes und Kataloniens auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen. Dies wird nicht ganz einfach.

Die restliche Linke ist stark fragmentiert. Zwar haben sich Podemos, Izquierda Unida und Equo wieder zu einer gemeinsamen Kandidatur unter dem Namen Unidas Podemos zusammengeschlossen, aber ob sich das überall umsetzen lässt, ist fraglich. In Galicien, Valencia, Madrid, Asturien und Katalonien werden regionale linke Kräfte wohl eigene Listen aufstellen, auch auf die Gefahr hin, dass diese Zersplitterung zu weniger Sitzen im Kongress führen wird. Die Linien in der Auseinandersetzung verlaufen hier entlang der Frage der Haltung zur PSOE und in Galicien und Katalonien auch entlang der Frage der Unabhängigkeit.

Aus dieser unübersichtlichen Gemengelage ergeben sich zahlreiche mögliche Varianten einer zukünftigen Regierung. Wenn man die Presse und die veröffentlichte Meinung verfolgt, kommt man zum Schluss, dass die, die wirklich das Sagen haben, nach der Wahl am liebsten eine Regierung aus PSOE und Ciudadanos sehen würden. Insofern kann man gespannt sein, ob die Ciudadanos ihre Festlegung auf die PP auch nach der Wahl noch aufrechterhalten werden.

Für eine solche Regierung fänden sich wohl auch Befürworter in der PSOE, in der der alte Kampf zwischen Susana Diaz und Pedro Sánchez wiederauflebt. Hier liegt Sánchez leicht im Vorteil, nachdem auch er die Liste der Kandidatinnen und Kandidaten so zugeschnitten hat, dass die Befürworter seiner Linie nach der Wahl eine Mehrheit in der PSOE-Fraktion des Kongresses haben werden.

Unidas Podemos hat als klares Wahlziel eine Regierungsbeteiligung ausgegeben und positioniert sich im Wahlkampf auch als Alternative zur PSOE und deren zukünftiges Korrektiv in einer Koalitionsregierung. Mit einer starken Betonung von sozialen Themen versucht das Bündnis die Million Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, die sich von Wahl zu Wahl in die Stimmenthaltung geflüchtet haben.

Das spanische Wahlsystem

Im spanischen Wahlsystem werden die Sitze des Parlaments nicht auf Länderebene, sondern auf Provinzebene vergeben, und es gibt keine Ausgleichsmandate wie in Deutschland. Das führt regelmäßig dazu, dass in Provinzen, in denen nur zwei oder drei Sitze vergeben werden, die Stimmen der dritt- oder viertstärksten Partei verlorengehen. Eigentlich sind es also 52 Wahlen in 52 Provinzen, die stattfinden. Das könnte letztendlich heißen, dass die Entscheidung, ob es dem rechten oder linken Block zur Bildung einer Regierung reicht, in den 28 kleinsten Wahlkreisen fällt, die zusammen 103 der insgesamt 350 Sitze zu vergeben haben.

Katalonien und die Unabhängigkeitsbewegung

Darüber hinaus spielt die Situation in Katalonien eine gewisse Rolle. Die PP und VOX können sich dort nicht viel ausrechnen. Die Ciudadanos sind in den letzten regionalen Wahlen als Sieger hervorgegangen. Ob sie das wiederholen können, ist fraglich. Das Spektrum um Podemos und IU in Katalonien ist in diverse Teile gespalten. Teile davon tendieren dazu, mit der ERC (linksseparatistisch) gemeinsam zu kandidieren. Bei der PDeCAT (liberalseparatistisch) hat sich der harte Flügel durchgesetzt, was bedeutet, dass im Erfolgsfalle von ihm keine Unterstützung einer PSOE-Regierung zu erwarten ist. Unmöglich vorherzusagen. wie sich die 47 zu vergebenden Sitze verteilen werden. Viel wird auch davon abhängen, wie sich der Prozess gegen die Unabhängigkeitsbefürworter entwickelt, die gegenwärtig in Madrid vor Gericht stehen.

Die bisherige Politik der Sánchez-Regierung

Die geschäftsführende Regierung legt auf den letzten Metern noch einmal alles ins Zeug, um zu punkten, unter anderem mit Lohnerhöhungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und einer Rentenerhöhung. Das kann sich zu Gunsten der PSOE auswirken.

Die Frauenbewegung

Gerade haben zum zweiten Mal hintereinander am 8. März massive Demonstrationen der Frauenbewegung stattgefunden. Das könnte einen Schwung für die beiden Parteien geben, die sich klar feministisch positioniert haben, PSOE und Unidas Podemos.

Millionen von Unentschlossenen

Alle Umfragen besagen, dass ein hoher Prozentsatz der Wählerinnen und Wähler sich noch nicht festgelegt haben und bis zu letzten Minute schwanken werden, wen sie wählen, respektive, ob sie überhaupt zur Wahl gehen werden.

Gerade hat der offizielle Wahlkampf begonnen und man kann gespannt sein, welche Überraschung er noch bergen wird. Unruhige Tage bis zum 28. April.

Abb. (PDF): Umfragen und Wahlergebnisse für die großen spanischen Parteien seit 2016