Aus Politische Berichte Nr. 04/2019, S.10 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

AfD-Denunziantenportal Hamburg – Starke Zivilgesellschaft, schwacher Schulsenator

01 dok Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linken, am 23. März in der Bürgerschaft:

Christiane Schneider, Hamburg

Mit einer Kleinen Anfrage – gestellt zu Beginn der 14tägigen Märzferien – hat die Hamburger AfD-Fraktion einen Konflikt entfacht, der große Wellen geschlagen hat. Zuletzt gipfelte er in der Forderung der Linksfraktion nach Rücktritt des SPD-Schulsenators.

Die Schule als geschützten Raum verteidigen

Die AfD-Fraktionen in den Landesparlamenten betreiben anonyme Meldeportale, mit denen sie LehrerInnen und SchülerInnen auffordern, Verstöße gegen die „Neutralitätspflicht“, wie es offiziell heißt, tatsächlich aber AfD-kritische Äußerungen und Aktivitäten zu melden. Der „Erfinder“ dieses Denunziantenportals ist der Hamburger AfD-Abgeordnete Wolf, ein Abgeordneter mit völkisch-nationalistischem Hintergrund und einer langen rechten Biografie, u.a. als Mitglied und Alter Herr der extrem rechten Burschenschaft Danubia. Mit seiner reich bebilderten Kleinen Anfrage zielte er auf die Ida-Ehre-Schule, deren Selbstverständnis lautet: „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.

In der Kleinen Anfrage ging es im Wesentlichen um eine Sammlung linker und antifaschistischer Aufkleber auf der Pinnwand in einem Klassenraum, um einige Aufkleber im Schulgebäude und an der Eingangstür, um einen hingemalten Schriftzug „ACAB“ und um ein Foto, das SchülerInnen in einem Klassenraum mit einem Transparent gegen den „Schulpranger“ der AfD zeigt. Bei Ferienbeginn war es der Schulleitung im ihr zugebilligten Zeitraum von weniger als zwei Werktagen unmöglich, den Hintergrund der von der AfD präsentierten Bilder aufzuklären. Die Schulbehörde hatte dennoch nichts Eiligeres zu tun, als alle Aufkleber und Schmierereien zu entfernen, einer Fachlehrerkonferenz aufzugeben, sich damit zu beschäftigen, inwieweit das politische Neutralitätsgebot an der Schule eingehalten werde, und die Antwort ausführlich und zur Genugtuung der AfD zu beantworten.

Unmittelbar nach den Schulferien stieg das Abendblatt mit der Schlagzeile „Linksextremisten agieren ungestört an Schule“ ein. In einem Kommentar, den er später allerdings selbst kritisch sah, schrieb der Journalist: „Dafür, dass eine Schule Extremisten so den roten Teppich ausrollt, gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder sind die verantwortlichen Lehrer so ahnungslos, dass man sich fragt, was sie ihren Schülern beibringen. Oder sie halten linken Extremismus (anders als rechten) für eine im Grunde gute Sache.“

Erst nachdem die Schule wieder angelaufen war, konnte die Schulleitung die Vorwürfe aufklären und in fast allen Punkten zurückweisen. Die Aufklebersammlung an der Pinnwand stand im Zusammenhang eines mehrwöchigen Kunstprojekts der Oberstufe: „Sich einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz“. Die SchülerInnen konnten dabei, sofern niemand Einspruch erhob, Aufkleber, Bilder und Texte an die Pinnwand heften. Die monierten Aufkleber im Gebäude befanden sich nicht öffentlich einsehbar in einer Sitzecke, sie trage, so die Schulleitung, selbstverständlich die Verantwortung, dass sie entfernt würden. Das Foto mit dem Transparent entstand für einen von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb, an dem einige erwachsene SchülerInnen teilnahmen und dafür nach Rückfrage den Klassenraum nutzen konnten.

Die Schulbehörde hat ängstlich agiert und ist unnötig vorgeprescht, anstatt sorgfältig aufzuklären. Dass sie dafür Zeit braucht, hätte sie in der Antwort gut begründen können. So aber hat sie das AfD-Denunziantenportal geadelt und deren Angriff eine Wucht verliehen, die er sonst nicht erreicht hätte. Das kritisierte unsere schulpolitische Sprecherin Sabine Boeddinghaus in ihrer hier dokumentierten Rede in der Bürgerschaft am 27. März. Obwohl auch die CDU-Rednerin ihn kritisierte und Rot-Grün die Verteidigung versagten, blieb der Senator stumm. Kein Wort zum Sachverhalt, kein Wort der Selbstkritik, bis heute nicht. Einen Fehler habe er nicht gemacht, beharrt er. Das war noch nicht alles. Tage später wurde bekannt, dass die Schulbehörde einem benachbarten Gymnasium zum Thema „Menschenrechte und Extremismus in der EU“ als parlamentarischen Experten ausgerechnet Herrn Wolf empfahl. Das ließ der Senator seinen Pressesprecher zunächst bestreiten, bis er es in Beantwortung unserer Kleinen Anfrage zugeben musste. Zu Recht kritisierte Sabine Boeddinghaus in einem Interview, dass der Schulsenator Parlament und Schule verwechselt: Selbstverständlich hätten wir im Parlament die Aufgabe, uns argumentativ mit der AfD auseinanderzusetzen, aber die Schule sei ein geschützter Raum, und dass er das sein kann, dafür habe der Senat zu sorgen. Dabei hat er versagt.

Ein Versuch, Antifaschismus zu delegitimieren

Seit langem versucht die Rechte, Antifaschismus zu delegitimieren, ja zu kriminalisieren. Das haben in diesem Fall bis auf die taz alle Hamburger Printmedien unbesehen aufgenommen und Antifaschismus als linksextremistisch und gewalttätig diffamiert. Dies traf konkret die erst ein Jahr bestehende Antifa Altona-Ost, ein schnell wachsender Zusammenschluss junger Menschen. Er ist auf vielen Feldern aktiv. So organisiert er regelmäßig einen Jugendblock bei den Demonstrationen gegen die rechten „Merkel-muss-weg“-Kundgebungen, engagiert sich gegen den Mietenwahnsinn, unterstützte den Frauenstreik und vieles mehr. Diese junge Organisation sah sich unerwartet wuchtigen Vorwürfen und einer massiven Hetze ausgesetzt.

Eine unangenehme Rolle spielt dabei das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz. Kaum hatte es die Gründung der Gruppe mitbekommen, stufte es sie als „linksextremistisch“ ein und machte sie zum Beobachtungsobjekt. Die „Begründung“, die man der AfD und dem Abendblatt lieferte, ist hanebüchen: „Die ,Antifa Altona Ost (AAO)‘ gehört zu den autonomen antifaschistischen Gruppierungen. Ziel ist die Verteidigung des multikulturellen Anspruchs Altonas gegen ,Rechts‘ und der Organisierung der antifaschistischen und antikapitalistischen Arbeit des Stadtteils. Dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) liegen Erkenntnisse vor, dass die AAO Kontakte zu anderen antifaschistischen Gruppierungen unterhält.“ Zur „Gewaltbereitschaft“ der AAO gab er die Auskunft: „Dem LfV Hamburg liegen bislang keine konkreten Informationen … vor. Bei antifaschistischen Gruppierungen ist zumindest Gewaltausübung gegen Personen, welche dem rechten Spektrum zugeordnet werden, grundsätzlich akzeptiert.“ Nun ist es bei deduktiver Folgerung unvermeidlich, dass die unzulässige Prämisse (Regel) zu unzulässigem Ergebnis führt. Aber wen stört das schon? Welche „Schutzgüter“ der Verfassung durch die so charakterisierte Antifa Altona-Ost bedroht sein sollen, weiß das LfV wahrscheinlich nicht mal selbst. Mit seiner Auskunft manipulierte es die öffentliche Meinungsbildung. Die Antifa Altona-Ost antwortete mit einer erfrischenden und klaren Stellungnahme, die sich auf ihrer Facebookseite findet.

Gegen diese Delegitimierungsversuche und die Angriffe auf die Ida-Ehre-Schule setzte schnell eine große Solidarisierungswelle ein. Eine kurzfristig angesetzte Demonstration zählte 3000 Teilnehmende. SchülerInnen vieler Schulen solidarisierten sich mit der Ida-Ehre-Schule, zahlreiche Menschen meldeten sich zu Wort und bestärkten die Angegriffenen. Das Kollegium der Schule bedankte sich für die Solidarität: Auf der Webseite der Schule prangt ein Bild, das die LehrerInnen mit zahlreichen Plakaten zeigt wie „Antifaschismus ist Pflicht“ – „Politische Bildung ist nicht neutral“.

Abb. (PDF): Demonstrationsfoto

Abb. (PDF) die Pinnwand

01

Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linken, am 23. März in der Bürgerschaft:

„Meine Fraktion spricht der Ida-Ehre-Schule ihre volle Solidarität aus!“

Wir sind beeindruckt von der klaren Haltung der Schulleitung gegen eine „Diskursverschiebung in die Richtung, dass Antifaschismus an Schulen nicht gewünscht sei oder der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung widerspreche.“

Wir sind beeindruckt von den jungen Menschen, die deutlich sagen, wir sind Antifa, aber nicht gewalttätig; und wir sind beeindruckt von den Eltern, die ebenfalls Haltung gegen rechts beziehen. Sie alle, weitere Schulen, die GEW und DGB gemeinsam mit der kraftvollen und bunten Demo am Sonntag senden eine wichtige Botschaft in die Stadt: Antifaschismus ist Verpflichtung, Faschismus ist ein Verbrechen!

Als bildungspolitischer Sprecher sitzt Herr Wolf, wenn überhaupt, im Fachausschuss und schweigt zu allen relevanten Themen. Er interessiert sich nicht die Bohne für die alltäglichen schulischen Belange der SchülerInnen und LehrerInnen. Sein alleiniges Streben und Trachten ist das Säen von Ängsten, Misstrauen, Anfeindungen, miesen Unterstellungen, das Spalten von Schulgemeinschaften. Deshalb ist für uns ganz klar: das Hetz- und Denunziantenportal der AfD ist völlig inakzeptabel.

Und daher darf es hier im Haus von niemandem heißen, wir finden das ja auch schlecht, aber… Nein, kein aber! Das Portal ist ein Kultur- und Tabubruch und gehört sofort abgeschaltet!

Leider hat sich die Behörde nicht mit Ruhm bekleckert. Ich kann Ihnen das nicht ersparen, Herr Senator! Denn anders als Vertreter der Presse, die sich der öffentlichen Debatte gestellt und daraus Konsequenzen gezogen haben, verteidigte die Behörde für Schule und Berufsbildung ihr übereiltes und unreflektiertes Vorgehen auf sture Art und Weise. Das überrascht zwar nicht, ist aber in diesem Fall besonders erschreckend und bleibt sicher nicht ohne Folgen für das Klima an unseren Schulen und das ist fatal. Und Sie tragen mit Verantwortung für die Debatte heute!

Sie sind aus mir unerfindlichen Gründen über das Stöckchen der AfD gesprungen und haben sich damit von deren niederen Beweggründen instrumentalisieren lassen.Natürlich hätten Sie den Spielraum gehabt, diese Schriftliche Kleine Anfrage mit Hinweis auf die Ferien und die notwendige Rückkoppelung mit der Schule ohne ihren Aktionismus zu beantworten.

Ihre Botschaft an die Schule hätte lauten müssen: Die Behörde steht an der Seite der Schulen und lässt nicht zu, dass eine rechtspopulistische, fremdenfeindliche Partei den Spaltpilz zwischen die Schulen und ihren Dienstherrn pflanzen kann! Ihre Botschaft hätte weiter sein müssen, die Behörde und ich als ihr Präses treten ohne Wenn und Aber ein gegen Rassismus und Diskriminierung! Und Sie hätten noch einmal deutlich machen müssen, dass das Neutralitätsverbot nicht zu verwechseln ist mit Meinungs- und Haltungslosigkeit! Ganz im Gegenteil. Demokratieerziehung, Meinungsbildungsprozesse, das Ausprobieren verschiedener Aktionsformen, das gemeinsame Ringen um Positionen, auch das Erkennen und Korrigieren von Fehlern und das Entwickeln von gesellschaftlichem Engagement, finden im geschützten Raum von Schule statt. Und für diesen Schutz haben Sie zu sorgen, Herr Senator.

Ich bitte Sie sehr, in diesem Sinne heute klar Stellung zu beziehen und ich finde es überhaupt nicht ehrenrührig, wenn auch Sie einen Fehler zugestehen und korrigieren würden. Das würde Ihnen Respekt einbringen und ich wäre die erste, die Ihnen den erweisen würde! Denn unsere gemeinsame Botschaft muss doch lauten: Die AfD ist KEINE Alternative, und sie ist eine Gefahr für den Schulfrieden und die Demokratie.