Aus Politische Berichte Nr. 05/2019, S.16 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Vielfrontenkrieg – Sachsen vor den Wahlen

Kerstin Köditz*, Grimma

Langeweile? Kennen wir nicht! Abwechslung? Haben wir mehr als genug! Wir sind hier in Sachsen. In jenem Bundesland, in dem es nur zwei Arten von Wohnorten gibt. Entweder lebe ich auf dem Leuchtturm oder ich lebe im Wolferwartungsgebiet. Übersetzt für die Nichtsächsinnen: Es gibt die drei Großstädte Chemnitz, Dresden und Leipzig, und es gibt die sogenannten ländlichen Räume. Die Leuchttürme, so wollten es Ideologie und Strategie der neuen Staatspartei CDU, sollten ihr warmes Licht über die Weiten des Freistaates werfen und dort Neues aus den Industrieruinen der Treuhand zum Blühen bringen. Klappte nicht. Stattdessen wanderte zwei Jahrzehnte lang Jahr für Jahr eine Kleinstadt aus Sachsen aus, vorwiegend in die Ballungsräume München, Stuttgart, Ruhrgebiet. Gab es zu „Wendezeiten“ bei uns noch deutlich mehr junge Leute als im Westen, drehte sich dieses Verhältnis schnell um. Eines aber blieb über all die Jahre gleich: die sächsische CDU war der am weitesten rechts stehende Landesverband der Gesamtpartei und er stellte die Regierung, zunächst allein mit satten absoluten Mehrheiten, später mit willfährigen Juniorpartnern.

Langeweile? Kennen wir nicht. Es ist der 1. Mai, der „Kampftag der Arbeiterklasse“, wie er einmal genannt wurde. Die Historiker erinnern sich. An diesem 1. Mai des Jahren 2019 hält André Poggenburg, ehemaliger Landeschef der AfD in Sachsen-Anhalt und heute Chef des „Aufbruchs deutscher Patrioten“, eine Kundgebung in Leipzig ab. Der Marsch durch den linken Stadtteil Connewitz war ihm untersagt worden. Als Mitveranstalter aufgeführt: Pro Chemnitz, Pro NRW und Legida. Viele Veranstalter, eine sehr überschaubare Gefolgschaft. Rund 30 Personen scharen sich um den Möchtegern-Führer. Rund die dreifache Zahl an Anhängern hört Poggenburg wenige Stunden später im westsächsischen Zwickau zu.

Mobilisierungsdesaster auch für die NPD. Knapp 200 Anhänger sind dem Ruf der Parteiprominenz nach Dresden gefolgt. Früher, als die NPD noch eine reale politische Kraft in Sachsen war, brachte sie ein Vielfaches zu ihrer Mai-Demonstration auf die Beine. Es sind die letzten Getreuen, die wegen der Blockaden mehr stehen als laufen. Die Konkurrenz von der Neonazi-Kaderorganisation „Der III: Weg“ wird es mit Vergnügen zur Kenntnis genommen haben. Sie marschiert mit Trommelzug, einem Meer an Fahnen und Pyrotechnik, sie marschiert mit rund 600 Gefolgsleuten durch Plauen. Dank Behörden, die ihnen Rosen auf den Weg streuen, dank eines Oberbürgermeisters, der die Partei als „in einer Demokratie legitimiert“ bezeichnet, dank einer Polizei, die stolz den Erfolg ihres „Deeskalationskonzeptes“ betont, dank eines viel zu schwachen Widerstandes vor Ort.

Nein, Langeweile kennen wir nicht. Sie kommt auch dann nicht auf, wenn wir zufrieden feststellen können, dass die AfD zu ihrer angekündigten „Großkundgebung“ in Chemnitz lediglich 300 Anhängerinnen auf die Beine bringt, die sich ausgerechnet am 1. Mai die neoliberale Dampfplauderin Beatrix von Storch hören wollen. Inzwischen wissen wir natürlich, dass die Teilnahmezahlen an öffentlichen Veranstaltungen kein Indikator für die Zustimmung in der Wahlkabine sind. Wir wissen, dass die zahllosen Skandale der Partei nicht merklich schaden, dass ihre innerparteilichen Grabenkämpfe das Wahlvolk nicht abschrecken, dass dieses sich an der Inkompetenz der Partei nicht stört… Konnten wir früher sicher sein, dass auch ein Stück Kohle, von der CDU als Direktkandidat aufgestellt, gewählt worden wäre, ist inzwischen ein Unsicherheitsmoment vorhanden: Wir es nun ein Stück Steinkohle (CDU) oder ein Stück Braunkohle (AfD)? Falls mensch den Auguren der Meinungsforschungsinstitute glauben darf, dann könnte es bei der Landtagswahl am 1. September tatsächlich erstmals eng werden für die Vorherrschaft der CDU in Sachsen. Groß ist der Vorsprung nicht gegenüber der AfD, knapp die Hälfte der Wahlkreise könnte diese direkt gewinnen. Sichere Wahlkreise gibt es plötzlich nicht mehr für die Konservativen.

Langweilig wird auch die Regierungsbildung nicht werden. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hat der CDU-Ministerpräsident ausgeschlossen. Wer’s glaubt, der wird selig, wer’s nicht glaubt, kommt auch in den Himmel. Aber natürlich muss die CDU, einen Funken strategischen Verständnisses vorausgesetzt, ein immenses Eigeninteresse daran haben, die ungeliebte rechte Verwandtschaft von den Regierungsbänken fernzuhalten. Bereits eine Juniorpartnerschaft der AfD würde die Hegemonieansprüche der CDU weiter unterminieren.

Gesucht wird also der Königsweg. Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass! Die Omnipräsenz des Ministerpräsidenten soll es bringen. Der darf dann notfalls auch Dinge sagen, die seine Vorgänger nie über die Lippen gebracht hätten, beispielsweise die „Zerschlagung rechtsextremer Netzwerke“ fordern. Teile der eigenen Partei, wie die WerteUnion, hatte er dabei sicher nicht im Sinn. Deren Exponentin Yvonne Olivier, hohe Beamtin im Sozialministerium und Mitglied im CDU-Landesvorstand, wurde mit über 75% der Stimmen auf Listenplatz 30 gewählt. In ihrem früheren Leben im Westen war sie Mitglied im neofaschistischen Thule-Seminar und Mitbegründerin der neurechten Zeitschrift „Etappe“. Macht nix, das Vertrauen des Ministerpräsidenten hat sie trotzdem. Dies genießt auch PEGIDA-Versteher Prof. Werner Patzelt, auch er in der WerteUnion, der gemeinsam mit dem eher liberalkonservativen Generalsekretär Alexander Dierks das Wahlprogramm verfassen soll. Wie bei der Strickanleitung: Zwei links, zwei rechts, zwei fallenlassen…

Zu wem führt der Königsweg? Wer kann, wer können die möglichen Partner für die Sachsen-CDU nach der Landtagswahl sein? Die FDP sicherlich, die ebenfalls in Sachsen ihren am weitesten rechts stehenden Landesverband hat. Wenn dieser denn nach einer Auszeit die Rückkehr in den Landtag gelingt. Die in Sachsen eher unbedeutende SPD, die wohl die 5%-Hürde überspringen dürfte, aber an der 10%-Marke scheitern wird. Wenn es denn notwendig ist, wird die CDU auf sie zurückgreifen, auch wenn sich die SPD in den vergangenen Jahren gelegentlich den Luxus einer abweichenden Meinung erlaubt hat. Doch auch mit diesen beiden Partnern gemeinsam könnte es nicht für eine stabile Mehrheit reichen.

Was tun? Man lässt das „Prinzip Hoffnung“ walten. Hoffnung darauf, dass sich ein neuer Mitspieler auf der politischen Bühne etabliert, der einerseits politisch nicht so stigmatisiert ist wie inzwischen die AfD, und der andererseits nicht so unberechenbar wie die ungeliebte „Sowohl-als auch“-Partei der Grünen. Frauke Petry mit ihrer „Blauen Wende“? Hat sich erledigt. Hat sich sogar selbst erledigt. Mangels Mitgliedern, mangels unterscheidbarer Programmatik, mangels Strategie. Bei den Kommunalwahlen am 26. Mai wird sie lediglich in Zwickau mit einer eigenen Liste antreten, in Pirna ist sie in einem Bündnis vertreten. Das war es auch schon. Und auf die Europawahlen, von der man sich einen relativen Erfolg erhofft hatte, muss sie ebenso verzichten, da die nötigen Unterstützungsunterschriften nicht zusammengebracht wurden. Der Parteitag der „Blauen“, der unlängst in einem Privat-Schloss in Grimma stattfandet, verheißt keine Verbesserung für die Landtagswahlen. In einem Drittel der Wahlkreise will man, so die sehr optimistischen Pläne, Direktkandidierende aufstellen. Zugkräftige Namen für die Liste fehlen.

Wiederum: Was tun? Man setzt auf einen bereits bekannten Mitspieler, der kommunal schon lange Zeit sehr erfolgreich ist, dem aber bei Landtagswahlen nie der Durchbruch gelang. Gemeint ist der Landesverband der Freien Wähler. Bei der Landtagswahl 2014 kamen sie auf nicht mehr als 1,6 Prozent der Zweitstimmen. Das soll sich ändern. Unter anderem dadurch, dass man sich deutlicher rechts positioniert. Genauer gesagt: in der Lücke zwischen CDU und AfD. Nehmen die Freien Wähler, so das Kalkül der CDU, der AfD genug Stimmen ab, schmälert das deren Chancen – besonders bei den Direktmandaten.

Reicht es für die Freien Wähler gar zum Einzug in den Landtag, wäre der noch fehlende Bündnispartner vorhanden. Die Voraussetzungen dafür soll ein nicht der Partei angehörendes Duo, nämlich der Grimmaer Oberbürgermeister Matthias Berger, ein Rechtspopulist reinsten Wassers, und die ehemalige Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Hermenau, die bei ihrer früheren Partei erfolglos um ein Bündnis mit der CDU geworben hatte, liefern. Sie ist jetzt Generalsekretärin der Freien Wähler. Als Spitzenkandidatin wird die Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft ins Rennen geschickt. Wem das noch nicht rechts genug ist, wird schnell bei den kommunalen Kandidierenden fündig. Da trifft die der Neuen Rechten nahe stehende Buchhändlerin Susanne Dagen auf den PEGIDA-Mitbegründer René Jahn.

Was tun? Was kann die Linke, was kann die Partei Die Linke tun, wenn die Alternative lautet: „Rechts oder noch weiter rechts“? Was kann diese Linke tun, wenn Bündnispartner nicht in Sicht sind? Was tun, wenn sich Träume von „Rot-Rosa-Grün“ schon rechnerisch von selbst verbieten? Einfache Frage, einfache Antwort: Auf die eigene Kraft vertrauen! Linke Alternativen anbieten! Eigentlich einfach, wenn es links keine Konkurrenz gibt. Sich daran erinnern, dass es eine parlamentarisches Spielbein und ein außerparlamentarisches Standbein gibt. Druck entwickeln. Auf allen Ebenen. Diese Aufgaben kennen wir doch als Linke. Blauhelme als Verstärkung werden wir nicht bekommen. „Uns von dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“

* Kerstin Köditz ist Sprecherin ihrer Fraktion für antifaschistische Politik.

Abb (PDF): Aktion der Fraktion der Linken im Landtag gegen das neue Polizeigesetz. „… Wir halten das Gesetz für gefährlich, weil der Generalverdacht gegen alle Bürgerinnen und Bürger Grundrechte verletzt. Vertrauen statt Misstrauen! Freistaat statt Polizeistaat! #NoPolG!“

Abb (PDF): Banner: linksjugend goes Landtach!