Politische Berichte Nr. 3/2021 (PDF)13
Aus Kommunen und Ländern

Kein Untergang – Rot-Rot-Grün in Thüringen schafft mehr als erwartet Kommunale Politik in Thüringen – Schlaglichter dok: Ulli Jäckel Hamburg

Kein Untergang – Rot-Rot-Grün in Thüringen schafft mehr als erwartet

01 Kasten: Zur Finanzsituation in Thüringen

Frank Kuschel, Arnstadt, Leiter des Instituts für kommunale Bildung und Beratung – IKKB

Ende 2014 wurde in Thüringen erstmalig in einem Bundesland eine Landesregierung von Linke, SPD und B90/Grüne unter Führung der Linken gebildet. Kritiker dieses Bündnis prognostizierten nur eine kurze Lebensdauer für dieses Dreierbündnis. Zu groß schienen die politischen Vorstellungen zwischen den drei Parteien auseinanderliegen. Spätestens mit dem Landeshaushalt 2015 wurde das Ende von Rot-Rot-Grün (R2g) vorausgesagt.

Bekanntermaßen sind diese Prognosen nicht eingetreten. Nahezu ohne große Regierungskrise, von der sogenannten Sohn-Affäre des damaligen Justizministers abgesehen, haben Linke, SPD und B90/Grüne die Wahlperiode durchgestanden. Dann kamen die Landtagswahlen im Herbst 2019. Die Linke konnte mit 31 Prozent zwar ein Rekordergebnis erfahren, aber SPD und Grüne „schwächelten“. In der Folge verlor R2g die Landtagsmehrheit. Es folgte die Regierungskrise mit der Wahl eines FDP-Politikers mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten. Der Stock saß tief, auch über Thüringen hinaus. Innerhalb von vier Wochen einigten sich R2g mit der CDU über ein Kooperationsabkommen, die letztlich einer Tolerierung einer Minderheitsregierung nahekommt.

Das Abkommen sollte nur ein Jahr gelten. Wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie wurde es bis 26. September 2021 verlängert. Ob an dem Tag tatsächlich Landtagswahlen stattfinden, ist derzeit offen, weil vier CDU-Landtagsabgeordnete der Landtagsauflösung nicht zustimmen wollen. R2g und CDU verfügen über 64 Sitze im Landtag. Für die Auflösung sind 61 Stimmen notwendig.

Es ist also schon mal ein Erfolg, dass R2g in Thüringen seit Ende 2014 durchregiert. Ohne Thüringen wäre es wohl auch in Berlin nicht zu einem Regierungsbündnis aus SPD, Linke und B90/Grüne gekommen.

Doch auch inhaltlich ist die Bilanz der R2g- Regierungszeit durchaus respektabel, wobei immer Luft nach oben ist. Bei der Bewertung einer solchen Bilanz auf Landesebene muss immer beachtet werden, dass in unserem föderalen Staat die Länder im Vergleich zum Bund und den Kommunen eher wenige Entscheidungsoptionen und -zuständigkeiten haben. Die Länder haben u.a. keine Steuerkompetenz (vom Hebesatzrecht bei der Grunderwerbssteuer abgesehen) und keine Kompetenzen im Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht. 80 Prozent der Landesaufgaben sind Vollzugsaufgaben für den Bund.

Umso wichtiger ist es, die überschaubaren Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Nachstehend eine Kurzbilanz zu ausgewählten Politikfeldern.

Kommunen

Die selbstverwalteten Kommunen bilden für R2g das Fundament einer zukunftsorientierten, demokratischen und sozial gerechten Gesellschaft. Für eine tatsächliche kommunale Selbstverwaltung ist es wichtig, die Bürger*innen an ihren eigenen Angelegenheiten zu beteiligen – durch umfassende Demokratie, Transparenz und Öffentlichkeit. Weiterhin müssen die Kommunen nach Auffassung von R2g die Hauptträger der für die Allgemeinheit erforderlichen Dienstleistungen sein, etwa Ver- und Entsorgung sowie Unterhalt von Krankenhäusern, Kultur- und Bildungseinrichtungen. Eine entscheidende Voraussetzung hierfür sind finanziell handlungsfähige Kommunen.

Seit 2014 hat R2g das Volumen des Kommunalen Finanzausgleichs stetig gesteigert. Die Thüringer Kommunen haben 2020 im Vergleich zum letzten CDU-regierten Jahr 2014 insgesamt 1,1 Milliarden Euro mehr zur Verfügung – ein Plus fast 20 Prozent.

Für die Jahre 2018 und 2019 hatte R2g ein kommunales Investitionspaket in Höhe von insgesamt 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt – für Schulen und Sportplätze, für die Feuerwehren und für kommunale Krankenhäuser. Thüringer Kurorte erhalten seit 2016 für den Ausgleich ihrer Mehrbelastungen erstmals Jahr für Jahr 10 Millionen Euro Sonderzuweisungen. Zudem gibt es auch für besondere kulturelle Aufwendungen der Kommunen einen Kulturlastenausgleich von aktuell 11 Mio. Euro im Jahr.

Im Zusammenhang mit der freiwilligen Gemeindegebietsreform, durch die eine Millionen Thüringer*innen in neuen Strukturen leben, hat R2g über 200 Millionen Euro für Fusionsprämien und Entschuldungshilfen zur Verfügung gestellt, das entspricht über elf Prozent der Schulden aller Gemeinden in Thüringen. Mit verschiedenen Gemeindeneugliederungsgesetzen und den Leitlinien zur Neugliederung der Gemeinden hat R2g die Voraussetzungen für leistungsfähige kommunale Strukturen geschaffen. Über 300 Gemeinden haben freiwillig die Chance zur Schaffung zukunftsfester Strukturen genutzt.

R2g hat die Straßenausbaubeiträge rückwirkend zum 1. Januar 2019 abgeschafft. Damit werden alle Straßenausbaumaßnahmen, die von den Gemeinden seit dem 1. Januar 2019 begonnen wurden und künftig durchgeführt werden, nicht mehr über Straßenausbaubeiträge von den betroffenen Grundstückseigentümern mitfinanziert. Die Gemeinden erhalten hierfür vom Freistaat Thüringen zum Ausgleich der fehlenden Beitragseinnahmen Ausgleichsleistungen.

Nicht umgesetzt wurden die geplante Kreisgebietsreform und die Modernisierung der Kommunalverfassung. Hier gab es durch die SPD Widerstände.

Schule

Die wohnortnahe Schule mit guter Lehre ist der Grundpfeiler guter Schulpolitik. Jedes Kind soll die individuelle Förderung erhalten, die es für seine freie Entfaltung benötigt. R2g sieht in der Ganztagsschule die günstigsten Bedingungen, dieses Ziel zu verwirklichen.

R2g hat seit 2014 die Schulsanierung vorangetrieben und die kommunalen Schulträger und Schulträger in freier Trägerschaft mit 450 Millionen Euro beim Umbau und der Instandhaltung von Schulgebäuden unterstützt. R2g hat damit das größte Schulinvestitionsprogramm seit 1990 umgesetzt. R2g hat die Horte zurück an die Grundschulen geholt und damit gute Voraussetzungen für die Entwicklung von Ganztagsschulen geschaffen. R2g hat zudem 250 zusätzliche Stellen für Horterzieher*innen geschaffen. Mit dem 2018 eingeführten Schulbudget ermöglicht R2g den Schulen Flexibilität bei der Schulentwicklung und bei der Unterrichtsabsicherung, bei der Vernetzung mit dem kommunalen Schulumfeld und bei der Gesundheitsförderung für Lehrer*innen. Um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken, hat das Land die Einstellung von mehr als 4 000 Lehrerinnen und Lehrer ermöglicht. Der Stellenabbau der Vorgängerregierung wurde gestoppt. Mit einem neuen Schulgesetz hat Rot-Rot-Grün Antworten auf die aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen. Die neuen Schul- und Klassengrößen sowie die verstärkte Kooperation zwischen den Schulen stärkt die Fachlehrerversorgung; für eine bessere Inklusion wurde die Erstellung der sonderpädagogischen Gutachten ins Gesetz aufgenommen, zudem wurden in der konkreten Entscheidung das Elternwahlrecht gestärkt und mit den kommunalen Entwicklungsplänen Inklusion der Weg für eine bessere personell, räumlich und sächliche Ausstattung beschritten. Den Förderschulen wird im Gesetz eine ausdrückliche Entwicklungsperspektive gegeben.

Frühkindliche Bildung

Alle Kinder haben einen Anspruch darauf, durch gute Bildung die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu erhalten. Das gilt von Anfang an. Darum setzt sich R2g dafür ein, die frühkindliche Bildung Schritt für Schritt gebührenfrei zu machen, die Qualität der Betreuung zu verbessern und mehr Personal in den Kindergärten einzusetzen.

Seit 2014 wurden zwei Kindergartenjahre beitragsfrei gestellt. Perspektivisch soll der Kindergartenbesuch vollständig gebührenfrei sein.

B90/Grüne stehen dieser Gebührenfreiheit eher zurückhaltend gegenüber und wollen stattdessen die Qualität der Betreuung durch höhere Standards und bessere Personalschlüssel steigern. Dies hat R2g auch in ersten Schritten umgesetzt.

So hat R2g in Kindergärten und Kindertagesstätten den Betreuungsschlüssel für die 3- bis 4-Jährigen in zwei Schritten auf 12 Kinder pro Erzieherin/Erzieher verbessert. Dafür wurden 550 zusätzliche Stellen in den Kindergärten geschaffen. Größeren Kindergärten und Kindertagesstätten hat R2g seit 2018 bis zu anderthalb Stellen für Leitungsarbeit zusätzlich zur Verfügung gestellt. Damit wurde die Qualität der pädagogischen Arbeit gestärkt. R2g hat die fachliche Beratung und Betreuung der Arbeit in den Kindertagesstätten verbessert. Einige Kindergärten konnten sich zu Thüringer Eltern-Kind-Zentren (ThEKiZen) entwickeln.

Die Kommunen erhalten die nicht mehr zu erhebenden Betreuungsgebühren vollständig vom Land erstattet. Auch die höheren Standards und die veränderten Personalschlüssel werden vom Land finanziert.

Demokratie

Alle drei Koalitionsparteien sind Mitglied im Bündnis „Mehr Demokratie Thüringen“. Dies war Grundlage für weitgehende gesetzliche Neuregelungen im Bereich der direkten Demokratie und Beteiligung.

R2g setzt sich für eine konsequente und umfassende Demokratisierung ein. Über alle Aktivitäten und Maßnahmen in Gesellschaft und Staat sollen diejenigen Menschen mitbestimmen, die von den Auswirkungen der jeweiligen Entscheidungen betroffen sind. Deshalb geht es sowohl um die Ausweitung des Wahlrechts und den Ausbau der direkten Demokratie als auch um die Entwicklung einer neuen umfassenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungskultur.

R2g hat die direkte Demokratie in Kommunen ausgebaut und Ratsbegehren sowie Bürgerbegehren in den Ortsteilen und zur Abwahl von Bürgermeister*innen und Landrät*innen eingeführt. Bürgerbegehren, Bürgerentscheide und Einwohneranträge wurden in einem eigenen Gesetz geregelt. Alle Einwohner*innen einer Kommune ab 14 Jahren können unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft einen Einwohnerantrag stellen.

R2g hat das Beteiligungsalter für Wahlen und Abstimmungen auf kommunaler Ebene auf 16 Jahre abgesenkt. Damit können sich nun auch die Jugendlichen an den demokratischen Prozessen beteiligen. R2g hat mit einer „Beteiligten-Transparenz- Dokumentation“ dafür gesorgt, dass für jede und jeden über eine öffentliche Informationsdatenbank beim Landtag nachvollziehbar wird, welche Organisationen und Personen mit welchen Inhalten und Vorschlägen auf die Landesgesetzgebung Einfluss genommen haben.

R2g hat das Abgeordnetengesetz so verändert, dass Thüringer Landtagsabgeordnete mit bestimmten Funktionen keine besonderen Zulagen erhalten und dieses Verbot auch für Zulagen-Zahlungen aus den Fraktionskassen gilt. Für die Thüringer Minister*innen hat R2g eine gesetzliche Karenzzeit von bis zu 24 Monaten eingeführt, damit sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr nahtlos in einen „Lobby-Job“ wechseln können.

Weitere Informationen hier: https://www.die-linke-thl.de/politik/unsere-politik/

Abb. (PDF): Plakat Solidarität ist das Fundament usnerer Zukunft, https://www.die-linke-thueringen.de/fileadmin/LV_Thueringen/dokumente/parteitage/lpt7_tagung3/Dokumente/Entwurf_Landtagswahlprogramm.pdf Abb. (PDF): Omas gegen Rechts

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Zur Finanzsituation in Thüringen

Thüringen hat seit 2014 erhebliche Steuermehreinnahmen zu verzeichnen. Die wesentlichen Landessteuereinnahmen betreffen den Landesanteil an der Umsatz- und Einkommensteuer. Diese Steuern sind sehr konjunkturabhängig und von der Binnennachfrage abhängig. Beide Bereiche liefen bis zur Coronakrise positiv. In den fünf Jahren wurde sogar eine Milliarde Euro an Schulden getilgt, die unter der CDU-Regierung aufgelaufen waren. Es mussten keine Kredite aufgenommen werden und es gab 1,8 Milliarden Euro Rücklagen. Durch Corona wurden zunächst die Rücklagen aufgelöst und ca. 1,5 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Die Mindereinnahmen waren aber geringer als ursprünglich gedacht.