Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)04a
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Stichwort: Institutionelle Beziehungen EU–Türkei

Rolf Gehring, Brüssel. Bereits 1959 ist die Türkei bemüht, eine Anbindung an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu erreichen. Im Jahr 1964 wird ein Assoziierungsabkommen geschlossen, dass folgendes Ziel benennt: „die Förderung eines kontinuierlichen und ausgewogenen Ausbaus der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, wobei der Notwendigkeit einer beschleunigten Entwicklung der türkischen Wirtschaft und einer Verbesserung des Beschäftigungsniveaus und der Lebensbedingungen der türkischen Bevölkerung in vollem Umfang Rechnung getragen wird“. Zur Verwirklichung dieser Ziele wurde ein Assoziationsrat gegründet, der befugt ist, begleitende Beschlüsse zu fassen. 1980 wird das Aufenthaltsrecht der bereits in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ansässigen türkischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen auf eine europarechtliche Grundlage gestellt.

1995 wird ein Abkommen für eine Zollunion geschlossen, dass außer für landwirtschaftliche Erzeugnisse alle mengenmäßigen Beschränkungen für Ein- und Ausfuhren aufhebt. 1998 wird auch ein Freihandelsabkommen für landwirtschaftliche Produkte vereinbart.

Durch den Europäischen Rat wird dann 1999 der Türkei der Kandidatenstatus für den Beitritt zur EU zugesprochen, Beitrittsverhandlungen beginnen im Oktober 2005. Vor allem aufgrund der innertürkischen Entwicklungen in den Bereichen Rechtstaatlichkeit und Demokratie, dem Abbau der Gewaltenteilung sowie der anhaltenden Verletzung von Grundrechten und den Mittelmeeraktivitäten der Türkei fordert das Europäische Parlament im Mai 2021 die Beitrittsverhandlungen auszusetzen. Der Rat folgt dem nicht direkt, legt aber seit 2019 keine Fortschrittsberichte mehr vor, sondern einen „Länderbericht“. Die Verhandlungen liegen praktisch auf Eis, eine aktive Arbeit an den 35 Kapiteln/Politikbereichen, um den Rechtsbestand der EU in das türkische Recht einzuarbeiten, ruht. Auch der für 2021 veröffentlichte Türkei-Bericht der Europäischen Kommission sieht weitere Rückschritte in vielen Bereichen, insbesondere bezüglich des Präsidialsystems, der Unterminierung der Gewaltenteilung und der grundrechtseinschränkenden Sonderrechte, die staatliche Behörden, Polizei und Justiz seit dem Putschversuch 2016 haben.

Im Falle der Türkei beinhaltet der von beiden Seiten beschlossene Rahmen für die Beitrittsverhandlungen eine sogenannte Einbeziehungsklausel. Sie soll eine weitgehende Verankerung der Türkei in europäischen Strukturen für den Fall gewährleisten, dass die Türkei langfristig nicht in der Lage ist, den Verpflichtungen einer EU-Vollmitgliedschaft vollständig nachzukommen. Eine besondere Rolle spielt dabei das Instrument der „Heranführungshilfe“. Es beinhaltet vor allem finanzielle und technische Hilfen.

Für den Zeitraum 2007 bis 2013 (IPA I) wurden der Türkei 4,4 Milliarden Euro zur Unterstützung von fünf Teilbereichen zugewiesen: Übergangshilfe und Aufbau von Institutionen, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, regionale Entwicklung, Entwicklung der Humanressourcen und Entwicklung des ländlichen Raums. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 (IPA II) umfassten diese Maßnahmen Mittel von 3,19 Milliarden Euro. Zielstellungen dabei: Unterstützung politischer Reformen, der wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Entwicklung, der schrittweisen Angleichung an den Besitzstand der EU und der Stärkung der regionalen Integration sowie der territorialen Zusammenarbeit.

Ein weiterer Ausbau der Kooperation findet mittels sogenannter hochrangiger Dialoge zwischen der EU und der Türkei trotz der brachliegenden Beitrittsverhandlungen auch in einzelnen Politikbereichen statt. 2015 wird ein solcher Dialog für den Bereich der Energiepolitik eingeleitet. Es folgen 2019 die Bereiche Verkehr und Wirtschaft und 2021 Klima.

Im Oktober 2021 unterzeichnen die Europäische Kommission und die Türkei drei Abkommen, die der Türkei Zugang zu drei großen EU-Programmen für den Zeitraum 2021 bis 2027 verleihen: Dies sind „Horizont Europa“, das EU-Forschungs- und Innovationsprogramm, „Erasmus+“, das EU-Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport und das Europäische Solidaritätskorps. Türkische Forschungseinrichtungen, Studenten, Schüler, Auszubildende, Lehrer und junge Menschen können sich nun unter den gleichen Bedingungen wie Einrichtungen und Teilnehmern aus den EU-Mitgliedstaaten an Maßnahmen beteiligen und Projekte einreichen.

Frieden und Sicherheit 2021: Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei – https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2021/694213/EPRS_BRI(2021)694213_DE.pdf