Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)26
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

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01 RF erobert Bachmut – der Krieg dauert an
02 Geografische Fixierung der Front

AKW Saporischja: Internationale Beobachtermission

verstärkt

Martin Fochler, München, 3.6.2022

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland meldet am 1.6., dass sich Russland „zu einer Erweiterung der Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde (IEAA) im von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja“ bereit erklärt habe. Ferner heißt es dort: „Der Chef der nationalen Atombehörde Rosatom, Alexej Lichatschow, versprach am Donnerstag nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Interfax, ‚alle Handlungen‘ des IAEA-Generaldirektors Rafael Grossi zu unterstützen.“ (1)

Vorausgegangen war eine Einladung des UN-Sicherheitsrates, (Präsidium lag vom 1. bis 30. Mai bei der Schweiz), bei der Grossi auf die von der IAEA bereits 2022 verabschiedeten „7 Säulen“ (siehe Seite 28) zu sprechen kam und angesichts der wachsenden Gefahr – das AKW liegt im umkämpften Gebiet – fünf Grundsätze zur Beachtung vorgetragen hat:

1. Es dürfen keinerlei Angriffe von oder gegen die Anlage erfolgen, insbesondere nicht gegen die Reaktoren, das Lager für abgebrannte Brennelemente, andere kritische Infrastrukturen oder Personal.

2. Das Kernkraftwerk sollte nicht als Lager oder Stützpunkt für schwere Waffen (d.h. Mehrfachraketenwerfer, Artilleriesysteme und Munition sowie Panzer) oder Militärpersonal verwendet werden, die für einen Angriff von der Anlage aus verwendet werden könnten.

3. Die externe Stromversorgung der Anlage sollte nicht gefährdet werden. Zu diesem Zweck sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Stromversorgung außerhalb des Standorts jederzeit verfügbar und sicher bleibt.

4. Alle Strukturen, Systeme und Komponenten, die für den sicheren Betrieb der Kernkraftwerke unerlässlich sind, sollten vor Angriffen oder Sabotageakten geschützt werden.

5. Es sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, die diese Grundsätze untergraben. (2)

01

RF erobert Bachmut – der Krieg dauert an

Nach erbittertem Versuchen, die Stadt und das Gebiet Bachmut zu verteidigen bzw. zu befreien, musste sich die ukrainische Verteidigung nun zurückziehen. Viele Militärfachleute behandeln die Niederlage als punktuelles Ereignis von eher symbolischer Bedeutung, es kam ja zu keiner großen Frontverschiebung. Trotzdem: Die RF demonstrierte, das sie gleichzeitig die weit über tausend Kilometer erstreckte Front sichern und Kräfte zur Eroberung einer unter Aufbietung aller verfügbaren Kräfte verteidigten Stadt/Region Bachmut aufbieten kann.

Nun muss die Ukraine befürchten, dass die RF nach einer Phase der Reorganisation und Erholung ihrer Truppen nach diesem Konzept weiter vorgeht. Allerdings haben die schweren Verluste der Wagner-Söldner zu erheblichen Spannungen geführt, so dass fraglich ist, ob die politische Führung der RF die Truppen ein zweites Mal zur Erstürmung einer Stadt treiben könnte.

So sind zurzeit große Verschiebungen der Frontlinie nicht zu beobachten, die Kriegführung ist aber keineswegs unterbrochen. Die RF verstärkt Raketen- und Drohnenangriffe auf das Gebiet der gesamten Ukraine. Die Menschen leben in einer permanenten Gefahr, Alltagsprozesse werden unterbrochen, wenn die Sirenen heulen, ist das Leben bedroht. Die Ukraine reagiert auf diese Lage mit einer stetigen Verbesserung der Luftabwehr, ist dabei auch erfolgreich, aber nicht zu 100%, Wirkungstreffer zerstören Sachen und töten Menschen.

Obwohl in den weltweiten Medien immer noch von einer großangelegten Offensive der Ukraine die Rede ist, bereitet sich das Land eher auf die Verteidigung der Frontlinie vor. Darauf deutet auch die immer dringlichere, ja beinahe verzweifelte Bitte um die Lieferung von Kampfflugzeugen. Die Ukraine hat große Verluste ihrer veralteten MIG zu verzeichnen, kommt kein Ersatz, gewinnt die RF einseitige Luftüberlegenheit, das wäre eine wichtige Bedingung für weiträumige Vorstöße ihrer Bodentruppen. Der Abwehr eines groß angelegten Angriffs dienen auch die Operationen gegen die rückwärtigen Linien der RF. So bekennt sich in diesen Tagen die Regierung in Kiew zu dem Sprengstoffanschlag auf die Krim-Brücke von Oktober 2022. Aktuellen Kampfhandlungen und Anschläge auf dem Gebiet der Russischen Föderation – bis hin zu Drohnenangriffen auf Moskau – werden von Seiten der Ukraine öffentlich gebilligt. Welche Wirkung werden diese Operationen auf die politische Willensbildung und die militärischen Fähigkeiten der RF haben?

02

Geografische Fixierung der Front

Ein Stillstand der militärischen Handlungen ist nicht zu verzeichnen, gleichwohl würde die geografische Fixierung der Frontline eine Art Gleichgewicht der Kräfte belegen: Während das strategische Potential der RF nicht ausreicht, um den Widerstand der Ukraine zu brechen, ist die Ukraine trotz großer Unterstützungsleistungen aus EU und Nato nicht in der Lage, die besetzten Gebiete zu befreien. Vor diesem Hintergrund erwarten fast alle politischen Stimmen eine lange, jahrelange Fortdauer des Krieges.

In dieser Situation sollte nicht übersehen werden, dass trotz der alle Bereiche der globalen Beziehungen berührenden Konfrontation eine Vielzahl von globalen Übereinkünftigen besteht. So gab und gibt es Verhandlungen über die Behandlung und den Austausch Kriegsgefangener, so hat sich die RF angesichts einer drohenden Hungerkatastrophe auf das Getreideabkommen eingelassen, und es ist keine Kleinigkeit, dass die RF in dem von ihr – zu Unrecht, aber tatsächlich – beherrschten Gebiet des AKW Saporischschja verstärkte internationale Beobachtung zugestehen musste. „Internationale Beobachtung“ ist ein Vorgang im Vorfeld von Verhandlungen und zur Absicherung von Verhandlungsergebnissen.

(1) https://www.rnd.de/politik/ukraine-moskau-laesst-groessere-beobachtermission-im-akw-saporischschja-zu-B667BOHYBZKULMN5BLY5IUN6TI.html (2) https://www.iaea.org/newscenter/statements/iaea-director-general-statement-to-united-nations-security-council, automatische Übersetzung.

Abb. (PDF): Frontverlauf mit registrierten Kampfhandlungen. Aus interaktiven Darstellungen der NZZ zusammenmontiert. Entfernung Enerhodar|Saporischja: ca. 50 km. Die Darstellung der NZZ wird laufend aktualisiert und erläutert. Siehe: https://www.nzz.ch/visuals/ukraine-krieg-karte-zum-aktuellen-frontverlauf-ld.1671603