Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)05a
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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EU-Unterstützung für die Ukraine – Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt

Christoph Cornides, Mannheim

Nach Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 stellte die Ukraine einen Antrag auf EU-Beitritt. Im Juni 2022 erhielt die Ukraine den Kandidatenstatus nach entsprechender Befürwortung durch den Europäischen Rat. (Mitglieder des Europäischen Rates sind die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten, der Präsident des Europäischen Rates und der Präsident der Europäischen Kommission.)

Im November 2023 empfahl die Europäische Kommission (das ausführende Organ der EU, bestehend aus je einem Mitglied pro EU-Land) in ihrem Erweiterungsbericht von 2023 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen u.a. mit der Ukraine.

Zum Erweiterungsbericht stellt die Kommission fest:

„Das Erweiterungspaket 2023 enthält eine detaillierte Bewertung des Sachstands und der Fortschritte, die Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei und erstmals auch die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien auf ihrem jeweiligen Weg in die Europäische Union erzielt haben.“

Zur Erfüllung der „Kopenhagen-Kriterien“ durch die Ukraine heißt es: „Die Entscheidung, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren, hat trotz des anhaltenden Krieges eine starke Reformdynamik geschaffen. … gibt es eine große Unterstützung in der Bevölkerung. Regierung und Parlament zeigten ihre Entschlossenheit, erhebliche Fortschritte bei der Erfüllung der sieben Schritte zu erzielen… Konkret: transparentes Vorauswahlsystem für die Richter des Verfassungsgerichts und Reform der Justiz-Leitungsgremien; wachsende Erfolgsbilanz bei Korruptionsermittlungen und Verurteilungen auf hoher Ebene, gestärkter institutioneller Rahmen in diesem Bereich; Fortschritte bei der Begrenzung des Einflusses von Oligarchen. Die Ukraine hat auch unter Beweis gestellt, dass sie in der Lage ist, auch in Kriegszeiten Fortschritte bei der Angleichung an den EU-Besitzstand (Aquis) zu erzielen.1

Die Kommission zitiert in der Erläuterung des Erweiterungsberichts zustimmend ihren Erweiterungskommissar: „Olivér Várhelyi sprach von einer neuen geopolitischen Dynamik, die es zu nutzen gelte.“

Noch vor Jahresende 2023, am 14./15. Dezember 2023, entscheidet der Europäische Rat über die weiteren Schritte im Beitrittsprozess der Ukraine. (Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss dieser Zeitschrift noch nicht vor.)

Auch, wenn die zeitliche Dimension des Beitrittsprozesses eines Landes zur EU sich von mehreren Jahren bis zu mehreren Jahrzehnten erstrecken kann, und niemand von einem kurzfristigen Beitritt der Ukraine ausgeht, wären die Auswirkungen allein der Aussicht von beginnenden Beitrittsverhandlungen für die und in der EU, für die Ukraine und im Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine mehr als weitreichend. Sie würden auch das aktuelle Geschehen und die jeweiligen Perspektiven im Krieg zwischen der Ukraine und dem Aggressor Russland beeinflussen.

Noch nie hat die EU Beitrittsverhandlungen mit einem Land im Krieg mit anderen Staaten geführt. Deshalb ist davon auszugehen, dass viele der zu verhandelnden Maßnahmen erst für eine Zeit nach dem Krieg gelten können, in der Umsetzung also nicht zuletzt vom jetzigen Kriegsverlauf abhängen. Mit über 400 Milliarden Dollar werden die Wiederaufbaukosten der Ukraine beziffert, eine Belastung, die die EU neben den derzeit laufenden finanziellen – für den ukrainischen Haushalt – und militärischen Unterstützungsleistungen mitzutragen hat. Ein Beitritt der Ukraine, dem größten Getreideproduzenten in Europa, erfordert eine komplette Neuordnung des EU-Agrarmarktes. Die Verhältnisse aller EU-Staaten untereinander hinsichtlich Nettozahlungen an die EU und erhaltendem Zahlungsausgleich sind neu zu ordnen. Schließlich treten auch einzelne EU-Mitgliedsstaaten gegen einen Beitritt der Ukraine auf, wie z.B. Ungarn, das offensichtlich für den Fall einer Zerschlagung der Ukraine durch Russland auf Gebietsgewinne um ungarisch besiedelte Gebiete der Ukraine spekuliert.

(1) https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-beitritt-kommission-fur-verhandlungen-mit-ukraine-und-moldau-2023-11-08_de