Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)04
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Das Abkommen „Minsk II“ vom 12.2.2015 – Grundlage für eine friedliche Lösung?

Christoph Cornides, Mannheim

In der öffentlichen Auseinandersetzung um die Nato-/EU-/Ukraine-/Russland-Konfrontation wird oft übersehen, dass zwei große, miteinander verbundene Konflikte vorliegen: der zwischen Nato-Staaten, EU-Staaten und Russland um die Nato-Ost-Erweiterung und der zwischen Russland und der Ukraine u.a. um die ostukrainischen umkämpften Gebiete Donezk und Luhansk. Auch aus russischer Sicht sind beide Konflikte offensichtlich eng verbunden. Verschiedene Presseveröffentlichungen berichten, Putin habe in seinem Telefonat mit Biden im Februar 2022 gefordert, die Truppen an der ukrainischen Grenze erst abzuziehen, wenn die Nato ihr 2008 gegebenes Versprechen an die Ukraine und Georgien über eine zukünftige Mitgliedschaft in der Nato zurücknimmt. Bei seinen Vermittlungsversuchen im Ukraine-/Russland-/Nato-Konflikt hat der französische Präsident Macron – offensichtlich bisher (Mitte Februar 2022) ohne Ergebnis – zu sondieren versucht, wie weit das sogenannte „Minsk II“-Abkommen von 2015 Bezugspunkte für Konfliktbegrenzungen und Einigungen geben könnte.

„Minsk I“

Nach dem Ausbruch der seitdem de facto von Russland unterstützten innerukrainischen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und ukrainischer Armee in der Ostukraine, war zunächst das Protokoll von Minsk („Minsk I“) der Versuch zur Herstellung eines begrenzten Waffenstillstands. Das Dokument wurde am 5. September 2014 im belarussischen Minsk unterzeichnet. Es wurde am 17. Februar 2015 ein völkerrechtlich geltender Vertrag durch Verabschiedung der Resolution 2202 des UN-Sicherheitsrates. „Minsk I“ wurde unterzeichnet von den Vertretungen der Ukraine, des „Föderativen Staates Neurussland“ (eine international nicht anerkannte, im Mai 2014 proklamierte Union zwischen den proklamierten Volksrepubliken Donezk und Luhansk), Russlands und der OSZE (OSZE, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, 1995 aus der KSZE entstanden, ihr gehören 57 Staaten, darunter USA und Kanada sowie die 47 Staaten des Europarats an). An „Minsk I“ sollen die Vertreter von Donezk und Luhansk nur als „Beobachter“ teilgenommen haben.

Bereits im September 2014 brachen die Kämpfe um den Flughafen von Donezk erneut aus. Ohne dass ein dauerhafter Waffenstillkampf je eingehalten wurde, kam es im Januar und Februar 2015 zu einem vier Wochen andauernden Kampf um Verkehrsknotenpunkte und die Stadt Debalzewe im Donbass in der Ukraine. Er endete mit einer Niederlage für die ukrainische Armee.

„Minsk II“

Am 12. Februar 2015 kam auf Initiative von Deutschland und Frankreich „Minsk II“ als erneutes Waffenstillstandsabkommen in der Hauptstand von Belarus in Verhandlungen zwischen dem französischen Präsidenten François Hollande, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, den Präsidenten der Ukraine und Russlands, Petro Poroschenko und Wladimir Putin, zustande. Die 13 Kernpunkte der auch als „Minsker Friedensplan“ für den Donbass bezeichneten Vereinbarung waren und sind:

1. Waffenruhe ab 0.00 Uhr.

2. Abzug der schweren Waffen aus einer Pufferzone. (…)

3. Die OSZE überwacht die Waffenruhe und den Abzug der Waffen.

4. Nach dem Abzug der Waffen sollen Gespräche über Wahlen in Donezk und Luhansk sowie den künftigen Status der beiden Regionen beginnen. (…)

5. Eine gesetzliche Amnestieregelung soll alle Konfliktbeteiligten vor Strafverfolgung schützen.

6. Freilassung aller Gefangenen.

7. Sicherstellung humanitärer Hilfsleistungen.

8. Beide Seiten müssen an einer Wiederherstellung der Sozial- und Wirtschaftsbeziehungen arbeiten, damit etwa die Zahlung von Renten und Steuern wieder aufgenommen werden kann. Kiew verpflichtet sich, den Bankensektor im Konfliktgebiet wieder aufzubauen.

9. Die Ukraine soll die vollständige Kontrolle über die Grenze zu Russland übernehmen. (…)

10. Rückzug aller ausländischen Kämpfer, Söldner und Waffen unter Aufsicht der OSZE. Entwaffnung aller illegalen Gruppe.

11. Bis Ende 2015 muss eine neue ukrainische Verfassung in Kraft treten, die eine Dezentralisierung des Landes ermöglicht und mit Vertretern der abtrünnigen Regionen abgestimmt ist. Ein Gesetz zum künftigen Sonderstatus von Donezk und Luhansk muss ebenfalls bis Jahresende (2015) verabschiedet werden.

12. Wahlen in den abtrünnigen Regionen unter Aufsicht der OSZE, ein Termin ist nicht angegeben.

13. Die Kontaktgruppe soll noch intensiver zusammenarbeiten und Arbeitsgruppen zur Umsetzung des Friedensplans einsetzen.

Quellen: Dokumentation: Das Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 | bpb.de https://www.bpb.de/201881/dokumentation-das-minsker-abkommen-vom-12-februar-2015, dt. Text; Handelsblatt v. 12.2.2015/ Reuters, s. auch www.lpb-bw.de/chronik-ukrainekonflikt)

Ein weiterer Vormarsch der Separatisten konnte 2015 vorerst gestoppt werden, gleichzeitig wurden Autonomierechte für Gebiete unter Kontrolle der Separatisten in Aussicht gestellt. Ein tatsächlicher Waffenstillstand kam nie zustande, und die Zahl der Toten im Ostukraine-Konflikt übersteigt inzwischen nach Uno-Angaben 13 000. Russland, das 2014 die Krim annektiert hatte und die Separatistenmilizen unterstützt, hat diese Unterstützung trotz Unterzeichnung von Minsk II, soweit bekannt, nie aufgegeben. Trotzdem gab es auch Veränderungen. Poroschenkos Nachfolger Wolodymyr Selenskyj erklärte, den Minsker Friedensplan umsetzen zu wollen. Es gab nach 2019 einen schrittweisen Truppenabzug an vereinbarten Orten in der Ostukraine sowie zwei Gefangenenaustausche mit Russland.

In einer gemeinsamen Erklärung zur „Unterstützung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, angenommen am 12. Februar 2015 in Minsk“ erklärten die Unterzeichnerstaaten Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland, sie „…bekräftigen ihre uneingeschränkte Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Sie sind der festen Überzeugung, dass es zu einer ausschließlich friedlichen Lösung keine Alternative gibt. Sie sind fest entschlossen, zu diesem Zweck einzeln und gemeinsam alle möglichen Maßnahmen zu treffen. (…) Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE.“

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/02/2015-02-12-erklaerung-minsk.html)