Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)04b
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Blick in die „neutrale“ Presse

Alfred Küstler. Statt Kreml-Astrologie auf Fakten basierende Berichte über die Interessen der russischen Konfliktpartei sind selten. Gelegentliche Lichtblicke gibt es in der „Neuen Zürcher Zeitung“, bei der die Berichterstattung ab und zu vom Interesse geleitet wird, als „neutrale Schweiz gute Dienste“ zu erbringen, bei Vermittlungsmissionen wie der OSZE.

So befragte die NZZ (14. Februar) den ehemaligen Generalsekretär der OSZE, Thomas Greminger (bis 2020), zur Gefahr eines Krieges in Europa: „Ja, die Situation ist sehr ungemütlich. Ich glaube allerdings nach wie vor, dass wir nördlich, östlich und südlich der Ukraine vor allem ein militärisches Muskelspiel im großen Stil erleben. Ich sehe kein Interesse Russlands, militärische Operationen gegen die Ukraine zu führen. Ich halte Präsident Wladimir Putin für einen rational denkenden und handelnden Staatschef. Das größte Risiko ist eine Provokation etwa mit einer False-Flag-Operation an der Kontaktlinie im Donbass.“

Der russische Präsident habe ja bereits einen beträchtlichen Erfolg erzielt: „Plötzlich wird wieder über Rüstungskontrolle, Prävention von Zwischenfällen oder mehr Transparenz bei Großmanövern gesprochen. Über Jahre wurde erfolglos versucht, darüber im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu diskutieren. Doch die USA hatten kein Interesse und deshalb auch Russland nicht. Jetzt ist es auf dem Tisch.“ Allerdings bliebe ein Grunddilemma: „das Aufeinanderprallen der freien Bündniswahl souveräner Staaten mit dem Prinzip der ‚Unteilbarkeit von Sicherheit‘, dass also ein Land seine Sicherheit nicht auf Kosten eines anderen Landes erhöhen darf. Beides sind fundamentale Grundsätze, verankert im selben Artikel der Europäischen Sicherheitscharta, auf die sich die OSZE-Staaten 1999 in Istanbul geeinigt haben. Die Anerkennung, dass eine Versöhnung dieser beiden Prinzipien nötig ist, hat Putin noch nicht erhalten.“

„Wie könnte dieses Dilemma aufgelöst werden?“ Griminger: „Wenn der Wille vorhanden ist, ist das weitestgehend möglich. Über drei Modelle wird diskutiert. Eines ist Neutralität für die Ukraine, aber realistischerweise ist das, unter russischem Druck erzwungen, keine Option. Ein anderes sind verschiedene Formen von Moratorien, die man Kiew auferlegt. Ich bin allerdings skeptisch, dass das für die USA oder die Ukraine akzeptabel ist. Ein drittes Modell ist der ‚Zwei-plus-Vier-Vertrag‘ von 1990 anlässlich der Wiedervereinigung Deutschlands. Das Land war Nato-Mitglied, garantierte aber, dass in der ehemaligen DDR keine Infrastruktur und keine fremden Truppen des Bündnisses stationiert würden. Das gilt bis heute. Übertragen auf die Ukraine und verbunden mit regionalen Rüstungskontrollmaßnahmen könnte das den russischen Sicherheitsbedenken Rechnung tragen. Diese haben eine gewisse Legitimität und sollte man ernst nehmen.“

Der Moskauer Korrespondent der NZZ, Markus Ackeret, berichtete am 12. Februar über die Versuche des französischen Präsidenten Macron, Verhandlungen um das Minsker Abkommen wieder in Gang zu bringen: „Den Hauptstreitpunkt bildete nach wie vor die Frage des direkten Kontakts zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten. Russland besteht darauf, dass es zwischen diesen beiden zum Dialog über die Zukunft des Donbass kommt. Für die Ukrainer ist das eine prinzipielle Frage. Die Herrschaft der von Moskau abhängigen Separatisten in den beiden ‚Volksrepubliken‘ soll auf keinen Fall legitimiert werden und dem Donbass keine überproportional große Mitsprache im ukrainischen Staat eingeräumt werden.

In Moskau werden auch alternative Szenarien vorbereitet. Am Montag [14.2.] will der Rat der Staatsduma entscheiden, was mit dem Resolutionsentwurf der Kommunisten geschehen soll, der eine Bitte an Putin zur Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden ‚Volksrepubliken‘ vorsieht. Das würde endgültig einen Schlussstrich unter ‚Minsk‘ ziehen – allerdings mit unabsehbaren Folgen.“