Politische Berichte Nr.2/2022 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Die umkämpfte Kultur

Eva Detscher, Karlsruhe

„Mit einer umjubelten Premiere der Oper ‚Pique Dame‘ von Peter Tschaikowsky haben am Samstag die Osterfestspiele in Baden-Baden begonnen. Kirill Petrenko gab sein Operndebüt mit den Berliner Philharmonikern … Im aktuellen politischen Kontext stimmt die russische Oper jedoch nachdenklich.“ So titeln die „Badischen Neuesten Nachrichten“ vom 11.4.22. Petrenko war bis 2020 Generaldirektor der Bayerischen Staatsoper. Er ist in Russland in einer jüdischen Familie geboren. Am 25. Februar nimmt er Stellung: „Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden.“ Der Vertrag Petrenkos wird fortgesetzt. Es gibt auch das andere: Dem russischen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker Valery Gergiev wurde vom Münchner OB Dieter Reiter (SPD) am 25.2. ein Ultimatum bis zum 28.2. gesetzt, „ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine“ zu setzen (zitiert nach Süddtsch. Ztg. vom 1.3.22). Gergiev hat geschwiegen und wurde entlassen. Putin bot ihm daraufhin an, „neben dem Mariinski-Theater in St. Petersburg mit mehreren Spielstätten, darunter auch ein neues Haus in Wladiwostok, zusätzlich noch das Bolschoi-Theater in Moskau (zu übernehmen). Eine derartige Entscheidung würde Gergiev (68) zum allrussischen ‚Super-Generalintendanten‘ machen und an zaristische Zeiten anknüpfen, als beide Häuser der kaiserlichen Theaterverwaltung angehörten.“

Karlsruhe lässt die Städtepartnerschaft mit Krasnodar ruhen, ebenso hat Stuttgart die Beziehungen zu Samara eingestellt. Andere Städte setzen die Partnerschaft zu russischen Städten fort.

Die Zahl derer, die die russische Mentalität, wie sie sich über die letzten Jahrhunderte offenbart haben soll, als logisches Erklärungsmuster für die aktuelle Lage nutzen, ist groß. Es gibt aber auch viele, die genauer zu analysieren versuchen, wie die gegenwärtige gesellschaftliche Realität Russlands aussieht und wie sie sich dazu entwickeln konnte. Schriftsteller vor allem aus osteuropäischen Staaten weisen nicht erst seit Februar 2022 auf die Veränderungen hin.

Es ist bitter, wenn Dimitri Rogosin, der Leiter der russischen Weltraumagentur, Anfang März mit einem Absturz der Internationalen Raumstation ISS über Ländern des Westens gedroht hatte, oder auch, dass das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR am 3. März die Kooperation mit Russland gekündigt hatte und Russland ebenfalls an neuralgischen Punkten die Zusammenarbeit aufkündigt (siehe Meldung, Seite 2).

Es gibt schon lange eine Diskriminierung (nicht nur, aber auch) russischstämmiger Menschen in Deutschland, dagegen stehen aber auch viele Antidiskriminierungsmaßnahmen z.B. seitens der Kommunen, in Schulen, an den Universitäten. Aktuell kommt es darüber hinaus zu Spannungen speziell zwischen Ukrainern und Russen wie z.B. an den Universitäten in Freiburg, Karlsruhe oder auch Mannheim, wo es „zu verbaler Aggression und Beleidigungen“ kommt (Peter Abelmann, Vorsitzender Studierendenschaft Heidelberg, zitiert nach BNN vom 11.4.). Etwa 750 Studenten aus der Russischen Föderation und 460 junge Ukrainer sind im Südwesten eingeschrieben. Zusätzlich möchten viele geflüchtete Studenten aus der Ukraine hier ein Studium aufnehmen, die nächste Frage: werden auch z.B. die vielen indischen Studenten, die in der Ukraine eingeschrieben waren und von dort geflohen sind, gleich behandelt?

Die russische Regierung versucht an der Kulturfront zu punkten. Die Autokorsos, die gerade unter strengen Auflagen an mehreren Orten in Deutschland stattfinden und als verdeckte Sympathie mit den russischen Kriegszielen wahrgenommen werden, stehen in der russischen Bilanz sicherlich auf der Plus-Seite.

Der Boden, auf dem Argumente ausgetauscht werden und an einer Lösung gemeinsam gesucht wird, ist gegenwärtig verbrannt oder zumindest – in doppelter Bedeutung – vermint. Forcierung des Freund-Feind-Paradigmas ist unbedingt zu vermeiden, Diskriminierung muss entgegengetreten werden. Wie das gehen kann? So hat z.B. die Brigitte Wolf, Linke-Stadträtin in München, eine persönliche Erklärung veröffentlicht. Sie hat der Entlassung Gergievs nicht zugestimmt, weil 1. der repressive Charakter des russischen Systems unterschätzt würde, 2. das Abfordern von Anti-Putin-Statements durch deutsche Instiutionen die Kritik am Angriffskrieg unterlaufe und 3. der Oberbürgermeister eine Trennung erzwingen wollte, weil er über die Öffentlichkeit ein Ultimatum gestellt hatte.

Es sind nicht DIE RUSSEN, die Bomben auf Mariopul werfen – es sind Menschen aus dem Staatenbund Russische Föderation. Es sind Soldaten des Staates, die als Wehrpflichtige Befehle ausführen oder auch weil sie überzeugt sind von der Ideologie russischer Überlegenheit gegenüber allen anderen in der Welt. Durch den militärischen Angriff des russischen Staates auf das Gebiet des ukrainischen Staates, wird er und mit ihm seine Staatsbürger zu Feinden der Menschen auf ukrainischem Staatsgebiet. „Ob und inwieweit das russische Volk Putins Politik mitsamt seiner Atomkriegsdrohung will und legitimiert, ist mangels Demokratie nicht ermittelbar. Aber in der Bevölkerung hat er offenkundig genügend Unterstützung, dass er sich darauf verlassen kann, dass seine Befehle Gehorsam finden“, schreibt Max Steinbeis im Verfassungsblog. [1] Am Tag 45 der russischen Okkupationskrieges möchte man Parteigängern Russlands am liebsten Leo Tolstois „Krieg und Frieden“ um die Ohren hauen – aber es nützt ja nichts: die Chancen, den Eroberungsrausch anders als durch eine militärische Niederlage in der Ukraine zu stoppen, stehen schlecht. Der Krieg an der Kulturfront findet überall statt und wird lange dauern.

[1] Verfassungsblog vom 12. März 2022. https://verfassungsblog.de