Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)04a
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Atomwaffen verbieten! Verzicht auf Ersteinsatz!

Dok Auszüge aus dem Bericht von Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel, 28.6.2022: Als Mitglied der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (Internationale Ärzt*innen gegen Atomkrieg und in sozialer Verantwortung) als Beobachterin bei der ersten UN-Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV/TPNW) in Wien

„Die erste Staatenkonferenz zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag vom 21. bis 23. Juni 2022 in Wien fand weitgehend ohne Berichterstattung durch die deutschen Medien und ohne angemessene Beachtung durch die politische Öffentlichkeit in Deutschland statt. Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW war mit Beobachter*innen auf der Konferenz vertreten. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin veröffentlichen wir nachfolgend Auszüge aus ihrem Bericht als Mitglied der IPPNW-Delegation. (Weitere Informationen dazu unter https://www.ippnw.de/index.php?id=1127)

Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV, engl. TPNW – Treaty on the Prohibition of Nuclear Waepons) ist nach der Ratifizierung durch inzwischen 65 Staaten seit dem 21.1.2021 Teil des humanitären Völkerrechts der UNO. Er ist ein Meilenstein der Hoffnung auf dem Weg zu einer nuklearwaffenfreien Welt.

Der AVV verbietet den Mitgliedsstaaten sowohl Besitz, Produktion, Lagerung, Entwicklung, Test, Erwerb, Stationierung und Einsatz von Kernwaffen sowie den Transport durch das eigene Staatsgebiet. Letzteres hat zur Folge, dass Irland, das den AVV ratifiziert hat, britischen U-Booten mit Trident-Atomraketen die Durchfahrt durch die Irische See nicht mehr gestatten darf. Waren bisher die Nicht-Atomwaffenstaaten insbesondere von den beiden großen Atommächten USA und Sowjetunion bzw. jetzt Russland in eine Art nukleare Geiselhaft genommen, so ist der AVV eine Manifestation einer globalen Demokratisierung, indem die große Mehrheit der Staaten, die bisher zum Schweigen und Erdulden verurteilt waren, nun ein Vertragswerk schufen, das sich auch auf die Atommächte auswirkt: „Building justice through law“.

Der AVV fordert außerdem Wiedergutmachungen für die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, der Hibakusha, und der an den Folgen der weltweit mehr als 2000 Atombombentests Erkrankten, die u.a. in Nevada, Kasachstan, Sibirien, Algerien oder auf dem Bikini-Atoll und den Marshallinseln radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren. Dieser Atomwaffenverbotsvertrag war durch das Engagement von ICAN (International Campaign for the Abolition of Nuclear Weapons), einer Dachorganisation von weltweit ca. 600 Friedensgruppen, zustande gekommen. Dafür war ICAN 2017 mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden.

Nun fand vom 21. bis 23. Juni 2022 in Wien die erste Überprüfungskonferenz des AVV durch die Vertragsstaaten (1MSP) statt, zu der explizit auch Vertreter*innen der beteiligten NGOs sowie das Internationale Rote Kreuz eingeladen wurden, die sogar bei der Konferenz wie die Vertreter*innen der Vertragsstaaten auch Statements abgeben durften.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und insbesondere die Drohung Putins mit Nuklearwaffen wurde in allen Statements mit großer Besorgnis scharf kritisiert. Doch auch die Gefahr von potentiell atomar eskalierenden Konflikten zwischen „kleinen“ Atommächten, z.B. zwischen Indien und Pakistan, verweist auf die Dringlichkeit, Atomwaffen weltweit abzuschaffen. Gerade deshalb ist der AVV ein so wichtiger und hoffnungsvoller Meilenstein.

Die erste Staatenkonferenz zum AVV (1MSP-TPNW – First Meeting of States Parties to the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons) im ungeheuer weitläufigen UNO-Gebäude wurde vor Delegationen aus 83 Staaten und zahlreichen Vertreter*innen von NGOs, u.a. des Internationalen Roten Kreuzes ICRC, Hibakusha, ICAN, IPPNW sowie Mayors for Peace und Parlamentarier*innen in einer Videobotschaft von UN-Generalsekretärs António Guterres mit der dringenden Warnung eröffnet „Wir müssen die Atomwaffen vernichten, bevor sie uns vernichten!“ Auch Papst Franziskus mahnte, dass nukleare Abrüstung angesichts der globalen Auswirkungen eines Atombombeneinsatzes eine ethische Verpflichtung aller Atommächte sei. In Statements der inzwischen 65 AVV-Mitgliedsstaaten ging es um die weitere Implementierung und Verbreitung des AVV und dessen Bedeutung für die nukleare Abrüstung und für die anstehenden Verhandlungen des Nichtverbreitungsvertrags (NVV, engl.: NPT – Non Proliferation Treaty). Auch Vertreter*innen der NGOs ICAN und IPPNW verwiesen in ihren Statements auf das hohe Eskalationsrisiko eines Einsatzes sog. „kleiner“ Atomwaffen im „Gefechtsfeld“, ein Gefechtsfeld, das Europa sein würde und zur völligen Zerstörung Europas führen würde. Infolge der globalen Folgen könnte es die Vernichtung der gesamten menschlichen Zivilisation bedeuten.

Deutschland, das sonst ein engagierter Fürsprecher des humanitären Völkerrechts ist, hatte, wie die anderen Nato-Staaten und die Atommächte, bisher nicht an den Beratungen zum AVV teilgenommen, diese sogar eher blockiert. Erfreulicherweise nahm die Bundesregierung dieses Mal jedoch mit einer Beobachterdelegation an der Staatenkonferenz teil, was ein wichtiger erster Schritt sein könnte, ebenso Belgien und die Niederlande, beide ebenfalls Staaten, in denen wie in Büchel US-Atombomben lagern, sowie Norwegen, Finnland und Schweden. Die US-Atombomben in Büchel dienen wohl kaum unserem Schutz, sondern sind vielmehr ein erstrangiges Ziel eines potenziellen Angriffs.

Im Statement der deutschen Beobachterdelegation wurde die nukleare Abrüstung zwar begrüßt, – man arbeite „Schulter an Schulter“ mit Skeptikern und Befürwortern des AVV an den gemeinsamen Herausforderungen der Abrüstung zusammen. Ein Beitritt zum AVV wurde mit Verweis auf die Mitgliedschaft in der Nato als einem nuklearen Verteidigungsbündnis jedoch abgelehnt, obwohl zwei ehemalige Nato-Generalsekretäre die Nato-Staaten explizit zum Beitritt aufgefordert hatten. Außerdem wurde argumentiert, dass der AVV den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) schwäche. – Das Gegenteil ist der Fall! Der AVV ergänzt den NVV und kam gerade deswegen zustande, weil die Abrüstungsverhandlungen seit langem stocken. Und, wie auch die Verträge zur Ächtung von Landminen, Streumunition, Chemie und biologischen Waffen, wird sich die Ächtung von Atomwaffen auch auf Staaten auswirken, die den AVV nicht unterzeichnet haben. Allerdings signalisierte die deutsche Delegation die Bereitschaft, sich an dem Opferfonds zu beteiligen, sofern dieser nicht Teil des AVV sei.

Erfreulich war, dass der Leiter der deutschen Delegation, Herr Ministerialdirigent Bohn, sehr freundlich und entgegenkommend auf unseren Wunsch nach einem Gespräch einging. Dieses Gespräch fand trotz teilweise gegensätzlicher Einschätzungen in einer von Respekt geprägten Atmosphäre statt.

Da sowohl die USA als auch Russland in ihren Militärstrategien von der Abschreckungsdoktrin der mutual assured destruction, MAD, („wer als erster schießt, stirbt als zweiter“) des Kalten Krieges nun, wie auch die anderen Atommächte, sich den nuklearen Erstschlag (preemptive strike) auch bei einem konventionellen Krieg vorbehalten, ist das Risiko eines Atomkriegs so hoch wie noch nie! Dass die Abschreckungsstrategie angesichts mindestens zwanzig sehr gefährlicher Fehlalarme nicht zu einem „Atomkrieg aus Versehen“ geführt hat, ist zum einen der mutigen Verantwortungsübernahme Einzelner zu verdanken, die den entscheidenden Alarmknopf nicht betätigten, andererseits einfach nur Glück.

Angesichts hoher Konfliktspannungen und der immer kürzeren Vorwarnzeit werden rationale Entscheidungen immer unwahrscheinlicher, während das Risiko einer nuklearen Eskalation steigt. Deshalb wäre als erster Schritt von den Atommächten zu fordern, dass sie gegenseitig auf einen Erstschlag verzichten – „no first use“. Der Appell an USA und Russland umfasst auch die Aufforderung „De-alert“, d.h. die ca. 2000 Atomraketen, die ständig in höchster Alarmbereitschaft sind und innerhalb weniger Minuten abgefeuert werden könnten, aus dieser Alarmbereitschaft zu nehmen. Beide Appelle haben auf der ab 1.8.22 in New York stattfindenden Konferenz über den Nichtverbreitungsvertrag (NPT) wie auch allgemeine atomare Abrüstungsvereinbarungen weiterhin leider wenig Erfolgschancen. Auch besteht noch kein ausreichender Schutz von AKWs, wie dies gerade im Ukrainekrieg deutlich wird.

Angesichts der Tendenz zur Militarisierung von Konflikten und insbesondere angesichts des Risikos eines Nuklearwaffeneinsatzes hat die Zivilgesellschaft nur die Möglichkeit, den Produktionsstätten von Nuklearwaffen die finanziellen Mittel zu entziehen: „Don’t bank on the bomb!“. So haben einige Renten- und Pensionsfonds und einige Banken bereits ihre Geldanlagen aus entsprechenden Fonds zurückgezogen.

Mit der Verabschiedung des Vienna Action Plan endete die Staatenkonferenz nach drei sehr intensiven Tagen in einer Mischung aus stolzem Hochgefühl und realistischer Sorge um die aktuelle Weltlage.

Abb. (PDF): Banner Staatenkonferenzz