Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)04
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Ukraine: Aggression und Annexion vor der Uno-VV

Wird die RF verhandeln müssen?

Christoph Cornides, mannheim, Martin Fochler, münchen

01 UNO-Vollversammlung zur Verurteilung der russischen Annexion von Teilgebieten der Ukraine
02 Albanien und Vereinigte Staaten von Amerika, Resolutionsentwurf (Auszüge)

In einer Dringlichkeitssitzung befasst sich die UN-Vollversammlung mit der Annexion von Teilgebieten der Ukraine durch die Russische Föderation, nachdem Russland sein Veto gegen einen Resolutionsentwurf der USA (ständiges Mitglied im Sicherheitsrat) und Albanien (derzeit nichtständiges Mitglied) am 30.9.2022 im Sicherheitsrat eingelegt hatte. Im April dieses Jahres hatte die UNO-VV Versammlung beschlossen, dass die Veto-Mächte künftig ihren Einspruch binnen zehn Tagen begründen, so dass sich eine Dringlichkeitsberatung der Generalversammlung mit der Sache befassen kann, die Versammlung wird nach Redaktionsschluss der Politischen Bericht erwartet. Damit reagiert die Weltgesellschaft auf die neue Eskalationsstufe, die durch die formell vollzogene Annexion von Teilen der Ukraine durch die RF eingetreten ist. Nach der russischen Verfassung (Stand 2020) sind „Handlungen … die auf einen Teil des Territoriums der Russländischen Föderation gerichtet sind, sowie Aufrufe zu solchen Handlungen … unzulässig.“ Durch den von Duma und Föderationsrat besiegelten Eingliederungsbeschluss würde damit nach russischen Recht der Angriff auf die Ukraine zur Verteidigung der RF umgewidmet und die Verteidigung der Ukraine zu einem Angriff auf Russland, der nach Verfassung und Soldateneid unbedingt zu bekämpfen ist. Vor der russländischen Öffentlichkeit wurde der Schritt unter Verweis auf Abstimmungen in den besetzten Gebieten begründet. Den politischen Institutionen hat diese Legitimation genügt, die zu den Waffen gerufenen Wehrpflichtigen hat sie nicht überzeugt, sehr viele versuchen der Einberufung zu entkommen. Es knirscht im Getriebe von Bürokratie und Kriegswirtschaft.

Die Verschiebung der Frontlinie belegt, dass die RF größte Probleme hat, die anfangs besetzten Gebiete zu halten. Statt eines Vorrückens in Richtung der durch den Annexions-Beschluss markierten Linie in die Ukraine hinein, ereignet sich eine Rückwärtsbewegung. In diesen Tagen ist unklar, wann und wo die Militärführung die Rückwärtsbewegung zum Stehen bringen kann, sicher ist, dass die russischen Truppen nach den Plänen ihrer obersten politischen Führung sobald irgend möglich antreten müssen, um Gebiete zu erobern, die laut Annexionsbeschluss „Russland“ sind.

In dieser Situation verstärkt die RF ihre Angriffe auf Siedlungen weit in der Ukraine, während die Ukraine ihre Schläge gegen die Nachschublinien der Fronttruppen durch Kommandooperation im tieferen Hinterland, bis nahe an die Grenze Russlands ergänzt. Das oberste Kommando der RF wiederum versucht, seine Position durch Drohung mit dem Einsatz strategischer Waffen zu verstärken.

Dieser Eskalation steht die Generalversammlung nicht hilflos gegenüber. Die RF wird ihr Veto gegen die im Sicherheitsrat mehrheitlich beschlossene Resolution vor der Generalversammlung begründen müssen. Es ist eine Beschlussfassung zu erwarten, die den Annexionsbeschluss für nicht erklärt, implizite aber auch sagt, wo die international anerkannten Grenzen der RF verlaufen, nämlich nicht in der Ukraine, aber auch nicht irgendwo im heutigen Russland.

Damit würde ein schmaler Weg zur Konfliktbeilegung unter Regie der Vereinten Nationen gebahnt. Der Rückhalt der Regierung Putins hat ihre Basis auch in der Sorge des Landes vor Destabilisierung und Einkreisung. Verhandlungen unter Regie der UNO könnten deutlich machen, dass Russland in Sicherheit leben kann, wenn und solange es die Sicherheit seiner Nachbarn achtet. Damit wäre auch der Gefahr ein Riegel vorgeschoben, die Unterstützung der Ukraine schleichend einen Angriff auf die Russische Föderation zu verwandeln.

01

UNO-Vollversammlung zur Verurteilung der russischen Annexion von Teilgebieten der Ukraine

Im Sicherheitsrat stimmten am 30. September 10 von den 15 Mitglieder (zehn „Nichtständige“, fünf „Ständige“) für den Antrag. Es enthielten sich China, Indien, Brasilien und Gabun. Es gab also keine Gegenstimmen und die Resolution wäre ohne das Veto Russlands im Sicherheitsrat verabschiedet worden. Wie schon bei der UNO-Resolution vom 2. März 2022 gegen den russischen Okkupationskrieg, dem ebenfalls ein Veto Russlands im Sicherheitsrat vorausgegangen war, ist auch diesmal zu erwarten, dass die UNO-Vollversammlung auf der Basis des im Sicherheitsrat gescheiterten Resolutionsentwurfs verhandelt. Dabei kommt aber erstmals eine neue Regelung zum Tragen, die Ende April 2022 von der UN-Vollversammlung einstimmig verabschiedet wurde, nach der die Veto-Macht im Sicherheitsrat jetzt ihr Veto in der Vollversammlung begründen und rechtfertigen muss. – Wir veröffentlichen nachfolgend Auszüge des am 30.9.2022 im Sicherheitsrat gescheiterten Resolutionsentwurfs.

02

Albanien und Vereinigte Staaten von Amerika, Resolutionsentwurf (Auszüge)

Der Sicherheitsrat,

unter Hinweis darauf, dass alle Staaten nach Artikel 2 der Charta verpflichtet sind, in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder anderweitig mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen und ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so beizulegen, dass der Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden,

unter Hinweis auf seine Hauptverantwortung nach der Charta der Vereinten Nationen für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit,

erneut erklärend, dass ein sich aus der Androhung oder Anwendung von Gewalt ergebender Gebietserwerb nicht als rechtmäßig anerkannt werden darf,

(PB: Die Resolution führt weiter aus, dass die „ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja infolge des großflächigen russischen Einmarschs“ unter Verletzung aller internationalen Rechte der Ukraine „in Teilen unter der Kontrolle der Russischen Föderation stehen“ und dass bereits die Beschlüsse der RF vom Februar zu Gebieten aus den Regionen Donezk und Luhansk völkerrechtswidrig erfolgt sind.

ferner unter Hinweis darauf, dass die Ukraine die sogenannten Referenden, die vom 23. bis 27. September 2022 in den ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja abgehalten wurden, nicht genehmigt hat und dass sie daher völkerrechtswidrig sind,

unter Verurteilung der rechtswidrigen Handlungen der Russischen Föderation im Zusammenhang mit den illegalen sogenannten Referenden, die vom 23. bis 27. September 2022 abgehalten wurden und mit denen versucht wird, die international anerkannten Grenzen der Ukraine zu ändern,

feststellend, dass die Versuche der Russischen Föderation, das Hoheitsgebiet der Ukraine zu annektieren, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen,

tätig werdend nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, 

(PB: Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen: „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“, regelt in 13 Artikeln das Vorgehen die bei wirtschaftlichen und militärischen Zwangsmaßnahmen gegen Staaten durch die Internationale Gemeinschaft.)

1. bekräftigt sein Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, einschließlich ihrer Hoheitsgewässer

2. verurteilt die illegalen sogenannten Referenden, die die Russische Föderation in Regionen innerhalb der international anerkannten Grenzen der Ukraine abgehalten hat;

(PB: Weiter wird erklärt, dass die Referenden vom 23. Bis 27 September in den von der RF „temporär kontrollieren Teilen“ ukrainischer Regionen „rechtswidrigen Handlungen der Russischen Föderation“ waren und „keine Gültigkeit haben und nicht die Grundlage für eine Änderung des Status dieser Regionen der Ukraine, etwa eine angebliche Annexion dieser Regionen durch die Russische Föderation, bilden können.“ Alle Staaten werden aufgefordert, eine angebliche Aneignung durch die RF nicht anzuerkennen und alles zu unterlassen, was als Anerkennung solcher angeblichen Aneignung ausgelegt werden könnte.)

7. beschließt, dass die Russische Föderation ihre Entscheidung vom 21. Februar 2022 betreffend den angeblichen Status bestimmter Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk in der Ukraine sofort und bedingungslos rückgängig zu machen und künftige Beschlüsse betreffend den angeblichen Status der ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja zu unterlassen hat;

8. beschließt, dass die Russische Föderation in allen Gebieten innerhalb der international anerkannten Grenzen der Ukraine, einschließlich der Regionen Luhansk, Donezk, Cherson, Saporischschja, alle Handlungen einzustellen und zu unterlassen hat, die auf die teilweise oder gänzliche Zerstörung der nationalen Einheit und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine zielen;

9. beschließt, dass die Russische Föderation ihren großflächigen rechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine sofort einzustellen und jede weitere rechtswidrige Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen einen Mitgliedstaat zu unterlassen hat;

10. beschließt, dass die Russische Föderation alle ihre Streitkräfte unverzüglich, vollständig und bedingungslos aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, wozu auch die von den illegalen sogenannten Referenden betroffenen Regionen gehören, abzuziehen hat, um eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung oder andere friedliche Mittel zu ermöglichen; S/2022/720 22-22595 3/3

(PB: Der Text schließt mit Dank an alle Organisationen u. Staaten, die sich für die Bewältigung der humanitären Krise und der Flüchtlingskrise eingesetzt haben. Unterstützung wird allen Bemühungen von Staaten und internationalen Organisationen zur Deeskalation zugesagt.)

Der vollständige Resolutionsentwurf ist erreichbar unter https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_sonst/s22-720.pdf