Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)28
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

* 04-ukraine-aggression-vor-der-uno-cornides-fochler-1.html * 28-anmerkungen-wagenkecht-provokation-fochler-1.html

Anmerkungen zu einem provokativen Auftritt (siehe Dok. im PDF)

Martin Fochler, München

Der langweilige Teil. Mit nur 4,9% blieb die Linke bei der 2021er-Wahl unter der 5%-Sperrklausel. Da sie aber drei Direktmandate erzielte, zwei in Berlin, eines in Leipzig, konnte sie gleichwohl mit 39 Mandaten in den durch die Ausgleichsrechnungen auf 736 Sitze angeschwollen Bundestag einziehen. Durch eine Laune der Mathematik ergaben 4,9% der Stimmen 5,2% der Mandate, damit konnte sie sich als Fraktion konstituieren, Plätze in den Ausschüssen besetzen, Personal- und Sachmittel beanspruchen. Würden drei Abgeordnete die Fraktion verlassen, wäre der Fraktionsstatus weg. Die Gefahr besteht. In der BRD werden die Wahllisten von den Landesparteien aufgestellt und Wahlkreisbewerbungen von den Mitgliedern im Wahlkreis. Fraktionen bilden deswegen nicht die in Bundesparteitagen oder -vorständen vollzogene Willensbildung ab, sie spiegeln politische Mehrheiten auf der Ebene der Landes- und Wahlkreismitgliedschaft. So wird z.B. Sahra Wagenknecht mit ihren Positionen glänzen, solange der Beifall rauscht, und erst verblassen, wenn er verklingt.

Der Skandal. Die BRD ist ein mittelgroßes Land; das in und von internationaler Kooperation lebt. Das strategische Gewicht des Landes reicht indessen aus, um kleinere Nachbarn zu bedrängen. Die Erinnerung an deutsche Großmachtambitionen öffnet hirn- und gewissenloser Fantasie das weite Feld eines Deutschland-Russland-Deals. Der deutsche Rechtsextremismus arbeitet mit diesem Gedankenspiel. Wenn Sahra Wagenknecht wie geschehen, (siehe Dokument, Spalte 3) für die Fraktion der Linken „Schluss mit den fatalen Wirtschaftssanktionen! Verhandeln wir mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen!“ fordert, hat sie eine Werteverschiebung vorgenommen. Statt „Nichtangriff-auf-die-Ukraine / Frieden-für-die Ukraine“ geht es nun um „Günstige Gas- und Rohstoffpreise für Deutschland“. Angepeilt wird – unter Beifall der AfD – ein Deal zwischen Deutschland und Russland auf Kosten der Ukraine.

Ein offenes Problem. Wer in der BRD hätte wohl vor einem Jahr vermutet, dass ausgerechnet das Rechts- und Kulturgut der territorialen Integrität von Staaten Prüfstein und Klippe linker Politik werden würde? Im linken Internationalismus sind „soziale Mindestbedingungen“ und „gleiche Menschenrechte“ als Maßstäbe einigermaßen etabliert, ebenso die Verurteilung des alten Kolonialismus, sichere Kriterien zur Beurteilung der heutigen zwischenstaatlicher Beziehungen aber fehlen. Wenn die UN-Vollversammlung der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung zuspricht, die dortige Bevölkerung mit beeindruckender Festigkeit die militärische Abwehr der Aggression trägt, das Land weltweit Unterstützung sucht und findet, wenn Menschen im Land des Aggressors das Risiko der Kritik des Expansionskriegs auf sich nehmen, ins Gefängnis wandern, fällt Einordnung schwer.

Eine Richtungsentscheidung. Beiträge und abschließende Mehrheitsbildung jener UN-Vollversammlung, die der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung zugebilligte und den Okkupationskrieg der RF verurteilte, belehrten uns jedoch, dass der Punkt „Achtung der territorialen Integrität“ zu den Grundlagen internationaler Solidarität gerechnet werden muss: Weil ein Auskommen zwischen den großen und kleineren Staaten der Welt anders nicht organisiert werden kann, weil die Leute in der Ukraine erfahren haben, dass ohne politische Unabhängigkeit Entwicklung des Landes und emanzipierte Lebensgestaltung nicht gelingen kann und weil die Antikriegs-Opposition in der RF erkennt, dass Problemlösung durch territoriale Expansion das Land zu dauernden Grenzkriegen und innerer Repression verurteilt. Damit erweisen sich Normen als handlungswirksam, die linke Politik in ihre Strategiebildung einarbeiten muss. Die von vielen Staaten verhängten Sanktionen haben ein doppeltes Gesicht. Sie sind nicht als Bestrafung eines Aggressor zu verstehen, sondern demonstrieren, dass die Welt auf dessen Ressourcen und Methoden nicht angewiesen ist, sondern umgekehrt.

Abb. (PDF): Faksimile der Wagenknecht-Auftritts von 8.9.2022, Quelle des Dokuments: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20051.pdf. Vollständiges Faksimile der PDF-Fassung. Aus Platzgründen montiert.