Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)05
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

* 05-lebenshaltungskosten-interview-mit-axsel-troost-cornides-2.html * 07-eu-kohaesionspolitik-in-krisenzeiten-schuettpelz-2.html * 10-akin-solidarisch-durch-die-krise-jannoff-e-d-2.html * 12b-dok-stellungnahme-regierungsbeteiligte-dielinke-d-2.html * 16-kommunale-initiativen-gesundheitspolitik-2.html

Solidarisch gegen steigende Lebenshaltungskosten, Inflation, Energiepreise – Interview mit Axel Troost.

01 Interview mit Axel Troost*: „Eine importierte Inflation“

Christoph Cornides, Mannheim – Axel Troost

Einleitung. Die drastisch steigenden Lebenshaltungskosten gefährden die Bezahlbarkeit des Lebens für immer größer werdende Teile der Bevölkerung. Gleichzeitig vertiefen sie die bestehenden sozialen Spaltungen und Verwerfungen. Wer bisher gut bis sehr gut lebt, Rücklagen hat oder sich gar als reich bezeichnen kann, kann vielen Preiserhöhungen in der persönlichen Wirkung in vielerlei Hinsicht leichter ausweichen.

Ohne politische Auseinandersetzung um Alternativvorschläge oder andere Formen der Umsetzung geplanter Entlastungsmaßnahmen geht die Politik der Ampelkoalition oft in die falsche Richtung: Steuersenkungen, die am meisten bringen, wenn man viel verdient, Tankrabatte für Alle statt gezielter, direkter und dauerhafter Entlastung für diejenigen, die sie existenznotwendig brauchen. Die Kette der Beispiele ist lang.

Dazu der Versuch der AfD und der Rechten, diese für Viele bedrohlichen Entwicklungen für nationale und völkische Mobilisierung zu nutzen.

Wer sich sozial, von links und erfolgreich dagegenstellt, braucht klärende Argumente, und die kommen nicht um die Frage umhin: „Diese Inflation jetzt, warum, wieso, und was wirkt dagegen?“

Axel Troost, u.a. seit 1981 aktiv in der Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ („Memo Gruppe“), hat in seinem öffentlich zugänglichen Vortrag auf Veranstaltungen der Linken „Inflation – Steigende Lebenshaltungskosten gefährden Bezahlbarkeit des Lebens“ (Stand 27.9.2022), sich anschaulich mit diesen Fragen auseinandergesetzt. (Mit freundlicher Genehmigung des Autors verweisen wir auf den Zugang über seine Homepage www.axeltroost.de bzw. direkt https://www.youtube.com/watch?v=S9JkoBTDJeI)

Untenstehend dazu auch ein Interview der Politischen Berichte mit Axel Troost.

Unter anderem befasst sich Troost in seinem Vortrag mit neun ganz unterschiedlichen Begründungen, die gegenwärtig in der öffentlichen Diskussion eine mehr oder weniger große Rolle spielen, angefangen von: „klarer Fall, die EZB war ’s“ oder „die Preistreiberei der Konzerne ist ’s“ bis zum russischen Krieg gegen die Ukraine als alleiniger „Ursache“. Troost untersucht sodann jede einzelne genannte mögliche Begründung auf ihre Tragfähigkeit.

Die Begründung einer „klassischen“ Geld- und Nachfrageinflation (zuviel „nachfragende“ Geldmenge) gegenüber den vorhandenen Produkten wird begründet widerlegt.

Die jetzige Inflation wird als importierte, angebotsinduzierte Inflation analysiert. Sie ist im Kern also hauptsächlich eine „Lieferketten- und Fossil/Rohstoff-Inflation“ (Troost), zu deren Wirkung in unterschiedlichem Ausmaß weitere Einflüsse hinzutreten. (u.a. CO2-Bepreisung, Wechselkurseinflüsse, ökologische/klimapolitische Maßnahmen, Monopolpreispolitik usw.) Das aber bedeutet, dass die Inflation kaum durch Maßnahmen der Dämpfung „klassischer“ Nachfrageinflationen nachhaltig zu senken ist.

01

Interview mit Axel Troost*: „Eine importierte Inflation“

Politische Berichte: In Deinem Vortrag „Inflation – Steigende Lebenshaltungskosten gefährden Bezahlbarkeit des Lebens“ erläuterst Du u.a., warum die aktuelle Inflation eine „importierte Inflation“ vor allem durch sinkende Zulieferungen ist, (insbesondere Energieprodukte und Rohstoffe). Für alle gleich geltende Regelungen erreichen diejenigen nicht, die vor allem die Entlastungen brauchen.– Was sind Deiner Meinung nach die größten, auch strukturellen Fehler der Entlastungspakete und was sind die wichtigsten Gegenforderungen?

Axel Troost: Bei einer importierten Inflation dieses Ausmaßes ist ein Einkommensausgleich für alle Einkommensschichten gigantisch teuer. Es besteht deshalb die Notwendigkeit sich auf die untere Hälfte der Einkommenspyramide zu begrenzen und dann auch nochmals auf die Ärmsten 15 bis 25% besonders zu konzentrieren. In diesem Sinne ist bis Anfang Oktober praktisch noch nichts geschehen. Die Entwicklung war seit Juli vorhersehbar, aber die Menschen in Not werden mindestens bis Dezember in Unsicherheit und Not gehalten. Notwendig sind für die privaten Haushalte neben der Energiepreisbremse direkte dauerhafte Zahlungen an die untersten Einkommens- und Rentenbezieher*innen, eine Nachfolgelösung für das Neun-Euro-Ticket (z.B. das 29-Euro-Ticket in Berlin) und die Umwandlung der Pendlerpauschale in ein einkommens- und verkehrsmittelunabhängiges Mobilitätsgeld. Außerdem benötigen wir sofort Maßnahmen zur Rettung von klein- und mittelständigen Betrieben und Freiberuflern, die die hohen Energiekosten nicht in den Preisen weiterwälzen können.

So wie es aussieht, ist die Gasumlage gekippt. Auch die Ampelkoalition nähert sich inzwischen einem „Preis-Deckel“ für alle Haushalte. Ziel müsste ein Grundkontingent u.a. an Gas und Strom sein, das durch staatliche Zuschüsse an die Energielieferanten gegen die laufenden Energiemarktpreise reduziert wird. Welche Chancen einer sozial orientierten Durchsetzung siehst Du?

Auch hier muss es Lösungen geben, die insbesondere die unteren Einkommensschichten schützen. Die Formel „80% für alle sind preisgedeckelt und danach zahlen alle die neuen hohen Preise“ ist eine Umverteilungsformel für die Besserverdienenden. Wenn zwei Personen in einer 150-qm-Wohnung wohnen, können sie leicht ein Zimmer vorübergehend leer stehen lassen. Vier Personen in der 70-qm-Wohnung können dies nicht.

Die sog. „Zeitenwende“ wird – so ist zu befürchten – eine seit Jahrzehnten nicht mehr erlebte Verschlechterung der Lebensverhältnisse herbeiführen. Die Gewerkschaften führen einen Kampf gegen Reallohnsenkungen. Was bedeutet das aktuell für den Kampf um Lohnsteigerungen, also um den Nominallohn?

Wir werden in den Jahren 2022 und 2023 in nahezu allen Branchen eine Realeinkommenssenkung bekommen. Nur ganz wenige Gruppen werden Nettolohnerhöhungen im Umfang der Inflationsrate erzielen können. Umso wichtiger ist es, dass durch staatliche Maßnahmen nicht nur die Transfereinkommensbezieher*innen sondern auch Beschäftigte mit unterdurchschnittlichen Verdiensten Ausgleichszahlungen erhalten. In diesem Zusammenhang ein wichtiger Hinweis: manche Arbeitgeber argumentieren, dass die extrem hohen Inflationsraten ja nur 2022 vorhanden sind. Sie plädieren daher für „Einmalzahlungen“ und dann gehe es 2023 wieder mit normalen Gehaltssteigerungen weiter. Das ist natürlich ökonomisch eine „vergiftete“ Argumentation. Wenn nach 8 % Inflation in 2022 im nächsten Jahr nur noch eine Inflation von 4 % kommt, dann kommen diese 4 % auf die 8 % gestiegenen Preis von 2022 oben drauf. Bei einer Einmalzahlung in 2022 werden dann in 2023 Gehaltssteigerungen auf das Gehaltsniveau von 2021 verhandelt.

Dass auf dem derzeit deregulierten Energiemarkt die Energiepreis sich nach dem am teuersten produzierten Energieprodukt „regulieren“, führt bekanntlich dazu, dass bei allen preiswerter produzierenden Energielieferanten Extragewinne entstehen. Wie sollte dagegen eine Übergewinnsteuer aussehen, was soll sie bewirken?

Dies gilt nur für den Strommarkt. Hier entstehen „Wind-fall-Profits“, weil Erzeuger von regenerativer Energie sowie von Kohle- und Kernenergie höhere Strompreise bekommen, obwohl ihre Kosten überhaupt nicht angestiegen sind. Diese zusätzlichen Gewinne müssen (und werden wohl auch) abgeschöpft werden und für eine Strompreisbremse in Form von kostengünstigen Stromkontingenten genutzt werden. Auch hier gilt dann allerdings das zur „Preisdeckelung“ Gesagte.

Finanzierung: Wirksame Entlastungsmaßnahmen erfordern direkte Geldzuschüsse, also Finanzmittel jetzt – (und nicht z.B. mögliche Steuerentlastungen für höhere Einkommen im nächsten Jahr oder staatliche Mehreinnahmen später.) Also sind weitere Staatsschulden unvermeidlich. Was passiert dann mit der „Schuldenbremse“?

Die vorgesehenen 200 Milliarden Euro „Doppel-Wumms“ sind – bei richtiger Verwendung – für den Inflationsausgleich bis 2024 voraussichtlich ausreichend. Hier wird nochmals – zu Recht – die Möglichkeit der Aussetzung der Schuldenbremse gezogen. Ab 2023 soll die Schuldenbremse wieder gelten (Null-Verschuldung für die Bundesländer, ca. 20 Mrd. für den Bund). Es gibt aber nicht nur Finanzierungsbedarfe für Corona, Inflation und den unsinnigen Aufrüstungsfonds. Der dringend erforderliche sozial-ökologische Umbau und der kommunale Investitionsstau von über 150 Mrd. Euro brauchen Finanzmittel. Und die können nur über Steuererhöhungen – ich erwähne hier nur die Übergewinnsteuer und die Vermögen- und Erbschaftsteuer – und eine sinnvolle Kreditaufnahme für öffentliche Investitionen kommen. Vielleicht noch ein letzter Hinweis: Auch wir Linken haben häufig unbeabsichtigt einen „Germany-first“-Blickwinkel. Dabei will ich nicht einmal den globalen Süden ansprechen, sondern nur die Euro-Zone: Wir haben eine gemeinsame Währung und wenn Unternehmen in Deutschland geholfen wird, aber Konkurrenzunternehmen in Spanien, Italien, oder den Niederlanden nicht, dann führt das zu Unmut wegen Wettbewerbsverschiebungen. Und natürlich muss nicht nur die deutsche Schuldenbremse, sondern der europäische Fiskalpakt reformiert werden.

Die Fragen für die Politischen Berichte stellte Christoph Cornides.

*Axel Troost war 2005 bis 2017 für Die Linke Abgeordneter im Bundestag mit dem Wahlkreis Leipzig-Land. Nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag ist er als Senior Fellow für Wirtschafts- und Europapolitik bei der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) aktiv. Als promovierter Volkswirt engagiert er sich seit 1981 in der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik („Memo-Gruppe“).