Politische Berichte Nr.1/2023 (PDF)13a
Aus Kommunen und Ländern

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Im November hatten Senat und Vertretungen der Volksinitiativen Verhandlungsergebnisse erzielt, die sich laut Marc Meyer, Vertrauensmann der beiden Volksinitiativen, „sehen lassen können und eine nachhaltige Mieten- und Bodenpolitik in der Hansestadt befördern werden“, siehe auch PB 6/2022. Für diese Ausgabe danken wir Gaston Kirsche, Hamburg, für die Einsendung der folgenden Beiträge. Aus dem Interview mit Marc Meyer können wir aus Platzgründen leider nur einen kurzen Auszug bringen.

100 Jahre Wohnungskommunismus

Die beiden Hamburger Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“ haben sich Anfang November mit den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen in der Hansestadt auf zwei Kompromisse geeinigt.

Gaston Kirsche, Hamburg

CDU: Einen „Einstieg in den wohnungswirtschaftlichen Kommunismus“ fürchtete Anke Frieling, Abgeordnete der CDU, in einer recht erregten Debatte in der Hamburgischen Bürgerschaft. Als Abgeordnete für den schönen Stadtteil Blankenese, eine beliebte Wohnadresse der Hamburger Bourgeoisie, wo nicht zur Miete gewohnt, sondern residiert wird, gruselte sie sich in ihrer Rede am dritten November vor dem Poltergeist mit Hammer und Sichel: Die Bedingungen für Immobilienunternehmen würden „dramatisch verschlechtert“. Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion verkündete: „Der von SPD und Grünen gefundene Kompromiss mit den Volksinitiativen ist der Einstieg in ein sozialistisches Wohn- und Wohnungsbaukonzept. 100-jährige Mietpreisbindung, kein Verkauf von städtischen Flächen und immer höhere Klimaschutzziele gefährden den dringend benötigten Wohnungsbau in Hamburg massiv“.

FDP: Wer einer profitorientierten Immobilienwirtschaft Grenzen setze, verabschiede sich „endgültig aus einer sinnvollen Stadtentwicklung“. Auch die FDP, bis auf eine für den Wahlkreis Blankenese direkt gewählte fraktionslose Abgeordnete in der außerparlamentarischen Opposition, setzte sich für die Immobilienwirtschaft ein: „Anstatt gemeinsam mit der Branche Antworten auf hohe Bodenpreise, steigende Materialkosten und den immer drängenderen Fachkräftemangel zu suchen, bindet Rot-Grün den Wohnungsbauunternehmen diesen Mühlstein um den Hals“, erklärte die stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Katarina Blume.

AfD: Ähnlich argumentierte auch Alexander Wolf, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion, in seiner Rede in der Hamburgischen Bürgerschaft: Alle großen Vermieter hätten geschlossen von einer „dramatischen Fehlentscheidung“ gesprochen. Günstige Mieten in der Verfassung verankern zu wollen, sei „durch und durch sozialistische Politik“. Fehlte eigentlich nur noch, am Redepult ein Honecker-Porträt hochzuhalten.

Die Linke: Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft, erwiderte, der kapitalistische Wohnungsmarkt hätte jahrzehntelang gezeigt, dass er keinen kostengünstigen Wohnraum schaffen würde, solange Rendite das Leitziel wäre. „CDU und auch FDP werden ja nicht umsonst von der Immobilien- und profitorientierten Wohnungswirtschaft gesponsert“, so Heike Sudmann zum Autor: „Alles andere als ihr erbitterter Protest gegen die Einschränkung der Gewinnmöglichkeiten würde uns alle doch sehr erstaunen“.

Der Anlass der Debatte:

Die am zweiten November verkündete Einigung der beiden Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“ mit den Hamburger Rathausfraktionen von SPD und Grünen über ihr Anliegen – Schluss mit dem Verkauf städtischen Bodens und nur noch langfristig preisgebundene Wohnungen auf öffentlichen Wohngrundstücken.

Aus rechtlichen Gründen musste das Anliegen auf zwei Volksinitiativen aufgeteilt werden, für die parallel Unterschriften gesammelt wurden: „Boden und Wohnungen behalten – Hamburg sozial gestalten“ und „Neubaumieten auf städtischem Grund – Für immer günstig!“ Getragen wurden die Volksinitiativen von den beiden Hamburger Mietervereinen und einigen Mieterinitiativen. Nachdem die beiden Volksinis im Februar 2020 die ersten Hürden nahmen und genug Unterschriften einreichten, jeweils etwa 14200, begannen intensive Verhandlungen mit dem Senat. Nach außen wurde es still um die Volksinitiativen. Die Initiator:innen wussten aus den wohnungspolitischen Debatten, dass der rotgrüne Senat druckempfindlich ist beim Thema Wohnungspolitik. Denn bereits im letzten Bürgerschaftswahlkampf warben SPD und Grüne dafür, dass sie das Wohnungsmarktproblem sozial lösen würden. Auf Fachveranstaltungen propagierten rotgrüne Fachpolitiker:innen den Einsatz des Erbbaurechtes anstatt des Verkaufes von Grund und Boden.

„Rot-Grün hatte im Oktober 2019 verkündet, zukünftig städtische Grundstücke vorrangig im Erbbaurecht vergeben zu wollen, diese Absichtserklärung wurde sehr oft unterlaufen“, meint Heike Sudmann: „Ein Ablehnen der Volksini hätte die wahre Absicht von Rot-Grün entlarvt“, im städtischen „Bündnis für Wohnen“ hauptsächlich auf die Förderung der Immobilienwirtschaft zu setzen.

Die Initiator:innen der Volksinitiativen sahen die Chance, rotgrün beim Wort zu nehmen und in Verhandlungen auf ihre eigenen Absichtserklärungen zu verpflichten. Es wurde keine Struktur zur Vorbereitung eines Volksbegehrens aufgebaut, sondern in langwierigen Verhandlungen der jetzt verkündete Kompromiss erreicht. Die Volksinitiative verzichtet darauf, über ihre ursprünglichen Forderungen abzustimmen. SPD und Grüne sagten eine Änderung der Hamburger Verfassung zu, so dass der Verkauf von städtischen Wohngrundstücken ausgeschlossen und Grundstücke im Eigentum der Stadt stattdessen im Erbbaurecht mit einer Laufzeit von 100 Jahren vergeben werden sollen. Zum Zweiten sollen jährlich zukünftig mindestens 1000 Sozialwohnungen gebaut werden, die nicht wie bisher nach 15 oder 30 Jahren aus der Preisbindung fallen, sondern 100 Jahre günstig bleiben. Denn: Bisher wurden nicht so viele günstige Wohnungen nachgebaut, wie gleichzeitig aus der Mietbindung fielen. „Die Zahl der Sozialwohnungen in Hamburg schmilzt seit Jahren wie Schnee in der Sonne, trotz des Neubauprogramms des Senats“, erläutert Heike Sudmann im Gespräch: „Bis vor kurzem galt auch in Hamburg nur eine 15jährige Bindungsfrist für neugebaute Sozialwohnungen, mit dieser, nennen wir es mal sozialen Zwischennutzung, konnten Investor:innen gut leben, war die Aussicht auf Profite doch nur für kurze Zeit verbaut“.

Unter den CDU-geführten Senaten, die in Hamburg von 2001 bis 2011 regierten, zuerst sogar in einer Koalition mit der rechtspopulistischen Schill-Partei, wurde der Wohnungsmarkt weiter dereguliert. Als die SPD 2011 die Wahlen in Hamburg gewann, lag dies auch an ihrem Versprechen, günstigen Wohnraum zu schaffen. Aber durch die Wohnungsbauoffensive wurden hauptsächlich hochpreisiger Mietraum und Eigentumsimmobilien geschaffen. Dafür boomten jahrelang die Profite der Immobilienunternehmen – Goldgräberstimmung. Und boomen weiter: 10 000 Wohnungen sollen weiterhin jährlich in Hamburg genehmigt werden, 3 000 davon öffentlich gefördert. „Bei den 7 000 freifinanzierten und Eigentumswohnungen kann die Immobilienwirtschaften leider weiter ihre Profite einfahren“, so Heike Sudmann. Und weiter: „Die Einigung mit den Volksinis betrifft nur ein Drittel der öffentlich geförderten Wohnungen“. Es wird wohl das städtische Wohnungsunternehmen SAGA sein, dass diese 1 000 langfristig gebundenen Wohnungen bauen wird. „Es ist ärgerlich, wie die Immobilienlobby es immer wieder schafft, sich als Opfer darzustellen“. Dabei seien es die „zig hunderttausend Mieter:innen, die unter den Folgen der kapitalistischen Mieten- und Wohnungspolitik leiden“.

Neue Initiative „Hamburg enteignet

Auch deswegen hat sich in Hamburg eine neue Initiative gegründet, die auf eine breite soziale Mobilisierung für ihr Anliegen setzt: „Hamburg enteignet“ begann Mitte September mit der Sammlung der benötigten 10 000 Unterschriften. Erklärtes Ziel der Initiative ist es, diese Zahl deutlich zu übertreffen und dann über die zweite Phase, das Volksbegehren, möglichst schnell zu einem Volksentscheid zu kommen, der parallel zur Bürgerschafts- oder Bundestagswahl 2025 stattfinden könnte.

Gefordert wird die Vergesellschaftung aller Wohnungen von privaten, profitorientierten Wohnungsunternehmen, denen mehr als 500 Wohnungen in Hamburg gehören. „Der Kompromiss zwischen Rot-Grün und den Volksinitiativen Keine Profite mit Boden und Miete hat nicht die Kraft, die Wohnungsnot allein zu lindern, sagt Marco Hosemann, Vertrauensperson der Volksinitiative „Hamburg enteignet“ dem Autor: „Dazu braucht es mehr Maßnahmen und vor allem die Enteignung der großen, profitorientierten Wohnungskonzerne“.

Die Volksinitiative „Hamburg Enteignet“ führt keine Verhandlungen mit SPD und Grünen, das Landesamt für Verfassungsschutz sah sich vielmehr berufen, vor „Hamburg Enteignet“ zu warnen: Die Unterschriftensammlung läuft trotz dieser Ausgrenzungsversuche weiterhin gut.

Auch trotz des Ausbaus des Erbbaurechtes und der 100-jährigen Mietenbindung: „Bestimmt werden SPD und Grüne versuchen, uns mit der Einigung den Wind aus den Segeln zu nehmen, das werden sie aber nicht schaffen“ versichert Marco Hosemann dem Autor: „Ihre Wohnungspolitik ist gescheitert, die immer weiter steigenden Mieten und die jetzt dazu kommenden explodierenden Nebenkosten spielen uns in die Hände“.

Rund 7500 Unterschriften wurden seit dem 15. September gesammelt. Gleichzeitig geht viel Einsatz in den Ausbau der Basisinitiative. „So gibt es jetzt schon einige Stadtteilgruppen und immer mehr Menschen, die bei uns aktiv werden“, berichtet Marco Hosemann.

Für die Volksinitiative „Hamburg Enteignet“ und ihren neuen Anlauf für eine Regulierung des Hamburger Wohnungsmarktes spricht auch, dass die Volksinitiative „Keine Profite mit Boden und Miete“ offen erklärt, Zugeständnisse gemacht zu haben, die einem „Krötenschlucken“ gleichkommen: So wird die Stadt Grund und Boden in Ausnahmefällen weiterhin verkaufen – etwa für Infrastrukturprojekte oder in den „großen Stadtentwicklungsgebieten“ – so heißen Projekte mit mehr als 700 Wohneinheiten wie Oberbillwerder, der Kleine Grasbrook oder die Neue Mitte Altona. Ohne Erbbaurecht und ohne 100-jährige Mietpreisbindung. Die großen profitablen Filetstücke für die Immobilienwirtschaft – es wird sie weiterhin geben.

Für eine soziale Wende auf Hamburgs Wohnungsmarkt gibt es großen Bedarf:

Aktuell haben in Hamburg 425 000 Haushalte Anspruch auf eine geförderte Wohnung mit einer Anfangsmiete von neun Euro pro Quadratmeter – 44 Prozent der Hamburger Haushalte – und dass bei derzeit nur noch 73 000 Sozialwohnungen. Die Wohnungsindustrie schöpft die städtischen Fördermittel zum Bau von Sozialwohnungen nicht aus, sondern baut lieber unreguliert und teuer. In der ersten Jahreshälfte 2022 wurden in Hamburg der Bau von 19 Sozialwohnungen genehmigt.

Fotos (Gaston Kirsche) von der Hamburger Demo „Solidarisch aus der Krise /,Bezahlbares Leben für alle statt Profite für wenige‘! am 29. Oktober

Abb.(PDF): Logo und Aktionsbild zu „Hamburg enteignet“