Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)30
Kalenderblatt

* 30-kabl-2020-UN-kinderrechte-brd-gibt-vorbehalt-auf-detscher-3.html * 31a-kabl-2020-kinderrechte-vorlaeufer-gehring-3.html * 31b-kabl-2020-kinderrechte-ins-gundgesetz-fochler-3.html

15. Juli 2010 Bundesrepublik Deutschland – BRD nimmt Vorbehalte gegen UN-Kinderrechtskonvention zurück

01 Das Kind als Träger von Rechten.

Eva Detscher, Karlsruhe

Deutschland war eines der ersten Länder, die die UN-Kinderrechtskonvention 1989/901 unterzeichnet und am 6. März 1992 ratifiziert hatten (Rang eines einfachen Bundesgesetzes, als Kind gelten alle Menschen bis 18 Jahre). Allerdings äußerte Deutschland mit der Unterzeichnung Vorbehalte. Diese räumten dem deutschen Ausländerrecht Vorrang vor den Verpflichtungen der Konvention ein und sicherten damit die gängige Praxis von Ausländerbehörden, speziell die Möglichkeit der Abschiebehaft gegen Kinder und Jugendliche.

„Der umstrittenste Vorbehalt betrifft das Asyl- und Ausländerrecht.

Hierzu hat die damalige Bundesregierung erklärt, die Kinderrechtskonvention könne nicht ‚dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist‘. Außerdem behalte sich die Bundesregierung vor, ‚Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen.‘ Die Konsequenzen: Flüchtlingskinder ab 16 werden im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Familien werden durch Abschiebungen auseinandergerissen. Die medizinische Versorgung für Kinder mit ungesichertem Aufenthaltsstatus ist eingeschränkt. Auch haben ‚geduldete‘ Kinder nur eingeschränkten Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. Besonders problematisch ist die Situation von unbegleiteten Minderjährigen.“2

Die Konvention hingegen fordert Gleichbehandlung eines jeden Kindes das der Hoheitsgewalt des Staates untersteht (Art. 1, 2 Abs. 1). Artikel 28 fordert, den „Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich“ zu machen und allen Kindern den Zugang zu „weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art“ zu gewähren – gesetzliche Schulpflicht auch für Flüchtlingskinder!

Schulpflicht, Recht auf Schulbesuch …

… was die Frage nach gesetzlichen Regelungen der Schulpflicht aufwirft, die in Deutschland aufgrund der Kulturhoheit der Bundesländer in den jeweiligen Landesverfassungen geregelt ist. In Bayern z.B. heißt es: „Die Schulpflicht dauert zwölf Jahre. Sie gliedert sich in die Vollzeitschulpflicht (9 Jahre) und die Berufsschulpflicht (3 Jahre).“ Schulpflicht beginnt mit dem Alter des Kindes von sechs Jahren (Stichtagsregelung). Die Länder sind verpflichtet, die Schulpflicht zu regeln, weil das Grundgesetz in Artikel 7, Absatz 1 das gesamte Schulwesen unter die Aufsicht des Staates stellt. Allerdings ist das Recht auf Schulbesuch kein Bestandteil des Grundgesetzes (siehe auch nebenstehende Erläuterung).

Zivilgesellschaftlicher Druck

Zahlreiche zivilgesellschaftlich tätige Verbände sowie wissenschaftliche Einrichtungen kämpfen seit dem Beginn der Zuwanderung in den 50er Jahren für die Regelbeschulung eines jeden Kindes im Lande. Die globale Konvention von 1989 gab diesem Ziel Schwung und Rückhalt. Durch die Kritik an den Vorbehalten der BRD wurden die Handlungsspielräume und die Forderungen deutlich konkreter und entfalteten Wirkung. Einige Landesregierungen (z.B. NRW, Thüringen, Hamburg) passten ihre Schulgesetze entsprechend an und verpflichteten sich zur Beschulung aller Kinder. Schon früh wurden z.B. in Hamburg internationale Vorbereitungsklassen eingerichtet, was aber nur als Zwischenlösung gedacht war. Die Forderung nach gemeinsamer Beschulung aller Kinder besteht nach wie vor. Oft wurde und wird auch (notgedrungen?) in den Sammelunterkünften unterrichtet. 2010 war es dann so weit: Deutschland hinterlegt bei der UN die Rücknahme der Vorbehalte. „Pro Asyl begrüßt, dass durch diesen formalen Akt endlich der Weg freigemacht wird, hier lebenden Flüchtlingskindern die gleichen Rechte zu gewähren wie allen anderen Kindern auch.“3

Staatenberichte und Parallelberichte

Alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, dem Ausschuss regelmäßig (alle fünf Jahre) Berichte vorzulegen, in denen sie darlegen, wie sie innerstaatlich die Kinder-Rechts-Konvention (KRK) und die Zusatzprotokolle umgesetzt haben.4 Am Staatenberichtsverfahren können sich auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), von Kindern selbst gegründete und geleitete Organisationen (Child-led-organziations), nationale Menschenrechtsorganisationen(NHRIs), UN-Sonderorganisationen wie das Kinderhilfswerk der UNO, die WHO, UNHCR, ILO, UNESCO usf. beteiligen und Parallelberichte zu den Staatenberichten einreichen, um eine unzureichende Umsetzung der KRK durch die Vertragsstaaten aufzuzeigen. 101 Organisationen haben 2019 am „Ergänzenden Bericht an die Vereinten Nationen“ aus Deutschland zusammengearbeitet.5 Parallel dazu wurde der „Zweite Kinderrechtereport“, in dem Kinder und Jugendliche die Umsetzung der KRK bewerten, veröffentlicht. Darin heißt es:

„Unser Schulsystem sortiert und grenzt zu viel aus!“, „Warum müssen Kinder in Angelegenheiten, die sie betreffen, nicht verpflichtend beteiligt werden?“, „Warum sind die Kinderechte immer noch nicht im Grundgesetz verankert?“6

Es wäre gut, wenn Schwung in diese Angelegenheit käme und so auch den Kommunen und den Ländern Raum und Möglichkeiten für die Umsetzung der Schulpflicht für Flüchtlingskinder zu verschaffen. Das wäre mit Sicherheit auch ein gutes Rezept gegen menschenfeindliche Ausblühungen in der politischen Landschaft.

01

Das Kind als Träger von Rechten. Es war ein langer Weg: von den Anfängen der Kinderrechtsbewegung im 18. Jahrhundert bis zur Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention im Jahre 1989. Vor 400 Jahren waren Kinder wie kleine Erwachsene. Sie kleideten sich wie die Erwachsenen und sie verhielten sich auch so. Schulen gab es nicht, und alles, was nötig war, lernten sie von den Älteren. Kinder hielten sich dort auf, wo auch die Erwachsenen waren – bei der Arbeit, auf den Märkten, in Lokalen und Herbergen. In vielen Familien wurden selbst Kinder schon von klein auf zum Betteln angehalten. Erst mit der Aufklärung änderte sich auch das Bild der Kindheit. Die Französische Revolution brachte die Erklärung über die Menschenrechte hervor. Und dies trug zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Situation von Kindern bei, auch wenn darin noch nicht explizit auf Kinder eingegangen wurde. In der Folge gab es einige Verbesserungen, insbesondere führte dies zu einer Trennung von Erwachsenen- und Jugendstrafrecht und auch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen. So wurde zum Beispiel in Großbritannien die Fabrikarbeit für Kinder unter neun Jahren verboten.

Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk7

Quellen: (1) Dokument zur KRK: https://menschenrechte-durchsetzen.dgvn.de/fileadmin/user_upload/menschenr_durchsetzen/bilder/Menschenrechtsdokumente/crc_de.pdf (2) UNICEF zu „Deutschland und die KRK“: https://www.unicef.de/_cae/resource/blob/9372/1767e57102a01def565fb7b97a869122/fa013-kinderrechtskonvention-deutschland-2012-pdf-data.pdf (3) Rücknahme der Vorbehalte besiegelt: https://www.proasyl.de/pressemitteilung/ruecknahme-der-vorbehalte-zur-un-kinderrechtskonvention-nun-auch-offiziell-besiegelt (4) Fünfter und sechster Staatenbericht BRD: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/fuenfter-und-sechster-staatenbericht-der-bundesrepublik-deutschland-zu-dem-uebereinkommen-der-vereinten-nationen-ueber-die-rechte-des-kindes-141862 (5) 5./6. Ergänzender Bericht an die Vereinten Nationen: https://netzwerk-kinderrechte.de/wp-content/uploads/2021/01/NC_ErgaenzenderBericht_DEU_Web.pdf (6) Kinderrechtereport 2019: https://www.unicef.de/_cae/resource/blob/204058/fef39952fe7b8f2d682723434d7b9576/kinderrechte-report-data.pdf (7) Geschichte der Kinderrechte: https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/geschichte-der-kinderrechte

Hinweis: in den Politischen Berichten 3/2020 wurde ein anderer Aspekt der UN KRK behandelt, das Züchtigungsverbot. Auch zu diesem Bereich wird in den Staaten- sowie in den Ergänzungsberichten Stellung genommen.

Abb. (PDF): Plakat Kinderrrechte, UNICEF