Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)02b
Blick auf die Medien

* 02b-bundeshaushalt-kuestler-01.html * 10-aktionen-initiativen-haushaltssperre-red-jannoff-1.html * 16-kommunale-initiativen-gegen-kuerzungspolitik-red-jaeckel-1.html

Einschneidendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzt Bundeshaushalt außer Kraft – Kommentare und Reaktionen

01 Dok: Christoph Spehr, Landessprecher Linke Bremen: Kommentar zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts
02 Dok: DGB: Verfassungsgericht macht Schuldenbremse zur Gefahr dgb.de

Alfred Küstler, Stuttgart. Die Ampelkoalition gerät stark ins Schlingern. Die Idee, Kredite neben dem regulären Haushalt aufzunehmen, um die Schuldenbremse zu umgehen, wurde vom Verfassungsgericht auf Antrag der Unionsfraktion als nicht erlaubt bewertet. Während SPD und Grüne für ein in der Koalition in Richtung nochmaliges Aussetzen der Schuldenbremse tendieren, ist die FDP eher für drastische Einschränkungen bei den Ausgaben, was vor allem auch die Sozialhaushalte betreffen würde. Die FDP trifft sich hier mit der Unionsfraktion. Wo sich die Ampelkoalition noch einmal finden kann, ist derzeit ungewiss; ein Koalitionswechsel allerdings ist nicht sehr wahrscheinlich. Für Union und FDP reicht es nicht, bei SPD plus CDU/CSU könnte die Union nicht den Kanzler stellen. Neuwahlen wären für alle derzeitigen Regierungsparteien mit deutlichen Mandatsverlusten verbunden. Wir dokumentieren Stellungnahmen zum Urteil des Verfassungsgerichts aus der Linken mit besonderem Blick auf die Lage im Bundesland sowie die gewerkschaftliche Position des DGB. Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände finden sich auf Seiten 10/11, der Kommunen auf Seiten 16/17.

01

Dok: Christoph Spehr, Landessprecher Linke Bremen: Kommentar zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Die Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse sind noch gar nicht abzusehen: Für die Ampelkoalition, den Bundeshaushalt, die Klima-Wende, die wirtschaftliche Entwicklung. Was war der Gegenstand, was steht drin im Urteil, was folgt daraus für den Bund und für Bremen? Anlass war: Die Bundesregierung hatte im Februar 2022 (!) einen Nachtragshaushalt für 2021 beschlossen. Darin hatte sie 60 Milliarden Euro, die aus der Corona-Notlage „übrig“ waren, in den Energie- und Klimafonds (EKF) verschoben. Der EKF wurde später umbenannt in „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) und ist ein Sondervermögen. Diese Verschiebung hat das Gericht jetzt für unzulässig erklärt.

Aus dem KTF werden unter anderem bezahlt: Der Industriestrompreis; die Förderungen für Grünen Stahl, Chipfabriken und Batteriezellen-Fabriken; die Sanierung der Deutschen Bahn; die Förderungen nach dem Heizungsgesetz; die Strompreissenkung durch Wegfall der EEG-Umlage. Die Strom- und Gaspreisbremsen wurden aus einem anderen Fonds bezahlt, dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Die sind aber jetzt auch gefährdet. Betroffen sind also sowohl Verbraucher*innen als auch Betriebe, und damit Beschäftigte. (Einen guten Überblick gibt es hier: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/ktf-projekte-haushalt-100.html ) Das Gericht sagt: Man kann nicht Geld für die eine Notlage aufnehmen und dann einfach für etwas anderes verwenden, ohne eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu beschließen. Genau das wollte die Ampel vermeiden, weil die FDP das nicht mitmachen wollte.

Unangenehmerweise hat sich das Gericht, weil es schon mal dabei war, auch sehr ausführlich dazu geäußert, wie Ausnahmen von der Schuldenbremse gestaltet sein müssen.

Wichtig für Bremen: Es gibt keinen Grund, warum eine Ausnahme für die Klimakrise nicht gehen sollte. Das Gericht macht hier auch deutlich, dass die genaue Ausgestaltung von Maßnahmen nicht Sache von Gerichten ist, sondern des Parlaments. Auch ob vorher andere Rücklagen genutzt, Steuern erhöht oder Sparmaßnahmen ergriffen werden müssen, ist ausschließlich Sache des Parlaments. Der Teil ist gut.

Aber: Das Gericht besteht darauf, dass man nicht Geld auf einen Haufen legen kann, das noch gar nicht im Einzelnen verplant ist. Man muss die Notlage gegebenenfalls in den Folgejahren jedes Jahr wieder beschließen und die Planung aktualisieren. Das macht alles deutlich noch komplizierter als bisher – vermutlich auch für Bremen.

Das eigentlich Verheerende ist aber das wirtschaftspolitische Signal. Es entsteht der Eindruck, dass Deutschland nicht in der gleichen Weise auf die Transformationskrise reagieren kann, wie das USA oder China tun: Mit großen Kreditaufnahmen für langfristige Programme. Das gefährdet private Investitionen, Unternehmens-Ansiedlungen usw. und kann in eine längere Rezession führen.

Was wäre jetzt notwendig? Die Ampel könnte ihren Verstoß heilen, indem sie für 2023 und dann wieder für 2024 eine außerordentliche Notlage erklärt, die zusätzliche Schulden erlaubt. Dafür reicht eine einfache Mehrheit im Parlament. Bislang lehnt die FDP das ab.

Die geplanten Maßnahmen durch Kürzungen im Haushalt zu finanzieren, ist kaum möglich und wäre total unverantwortlich. Ein solcher Kahlschlag hätte sozialpolitisch, aber auch wirtschaftspolitisch katastrophale Folgen. Das ist aber die Lösung, die FDP und CDU vorschlagen.

Am besten wäre es, die Schuldenbremse jetzt grundsätzlich zu reformieren. Man könnte sie z.B. für die Jahre 2020 bis 2023 aussetzen – dann wären auch alle Bundesländer mit ihren Notlage-Krediten auf der sicheren Seite, einschließlich der aufgenommenen Rücklagen. Man könnte Maßnahmen für Klima-Transformation ausdrücklich von der Schuldenbremse ausnehmen. Oder wieder zur alten Regelung zurückkehren: Investitionen dürfen durch Kredite finanziert werden. Für all das braucht man aber eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat, also die Zustimmung der CDU. Und die weigert sich. Die Diskussion zur Schuldenbremse als Wohlstandsbremse ist jetzt breit entbrannt. Darin müssen wir uns einschalten.

https://www.dielinke-bremen.de/politik/startseite/detail-neu/zum-urteil-des-bundesverfassungsgerichts/

02

Dok: DGB: Verfassungsgericht macht Schuldenbremse zur Gefahr

dgb.de Vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Urteil gefällt, das die Handlungsfähigkeit des Staates massiv einschränkt. Die Politik muss nun schnell und vernünftig handeln, sonst droht eine fatale Entwicklung. Es braucht zudem eine Reform der Schuldenbremse. Denn mangelnde Zukunftsinvestitionen sind ein Problem, eine etwas höhere Verschuldung nicht.

Die Schuldenbremse enthält eine Klausel, mit der die Begrenzung der staatlichen Neuverschuldung aufgrund einer Notlagensituation durch Parlamentsmehrheit ausgesetzt werden kann. Diese Ausnahmeregel legt das BVerfG jetzt sehr eng aus. Es schreibt unter anderem vor, dass zwischen der zugrundeliegenden Notsituation und den mit Notkrediten finanzierten Maßnahmen ein enger Zusammenhang bestehen muss. Außerdem muss das „Jährlichkeitsprinzip“ beachtet werden: Kredite müssen in dem Jahr abgerufen werden, in dem sie bereitgestellt wurden.

Zweiter Nachtragshaushalt für 2021 ist nichtig

Das BVerfG hat damit den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für nichtig erklärt. Dieser verschob Notfall-Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro, die zur Corona-Krisenbekämpfung beschlossen, aber nicht benötigt worden waren, in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), um sie in den Folgejahren für die Transformation zu nutzen.

Weitere Sondervermögen sind in Gefahr

Mittlerweile zeichnet sich ab, dass nicht nur diese Mittel durch das Urteil wegfallen. Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und viele andere mit Notkrediten gespeiste Sondervermögen bei Bund und Ländern sind in Gefahr. Eine umfangreiche Haushaltssperre wurde verhängt. Der 100-Milliarden-Fonds für die Bundeswehr dürfte aber unbeschadet bleiben, weil er mit zwei Drittel Mehrheit in die Verfassung geschrieben wurde.

Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen

Die Regierungsparteien hatten sich im Koalitionsvertrag auf ein „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ festgelegt. SPD; Grüne und FDP hatten verstanden, dass Klimaschutz, eine erfolgreiche Transformation, gute Bildung und eine Modernisierung des Landes zusätzliche kreditfinanzierte öffentliche Investitionen in Höhe von vielen Milliarden Euro nötig machen. Sie gingen bislang davon aus, das über die verschiedenen Sondervermögen finanzieren zu können, ohne die Schuldenbremse zu verändern.

Regierung und Opposition müssen gemeinsamen Ausweg finden

Diesen Weg hat das BVerfG jetzt versperrt. Die Bundesregierung muss deshalb – am besten gemeinsam mit der Opposition –schnellstmöglich einen anderen Weg wählen, um die Haushaltssperre zu beenden und die notwendigen Investitionen voranzubringen. Passiert das nicht, drohen ein Konjunktureinbruch und langfristig extreme wirtschaftliche und soziale Verwerfungen.

Für 2023 will die Bundesregierung die Schuldenbremse nun konsequenterweise wegen Notlage aussetzen. Dasselbe muss mit Hinweis auf die anhaltende Energiekrise auch für 2024 geschehen.

Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß

Außerdem müssen auch CDU/CSU jetzt einsehen, dass die neu ausgelegte Schuldenbremse nicht mehr einem modernen Staatswesen entspricht und reformiert werden muss: Es ist sinnvoll, neue Investitionen mit Krediten zu finanzieren, deshalb müssen diese künftig von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Mangelnde Zukunftsinvestitionen sind ein Problem, eine etwas höhere Verschuldung nicht – Deutschlands Schulden sind ohnehin vergleichsweise niedrig (s. Grafik).

Bis zur Reform der Schuldenbremse muss die Bundesregierung alle trotzdem noch vorhandenen Möglichkeiten zur Kreditaufnahme nutzen. Auf keinen Fall dürfen Ausgaben gekürzt werden. Das wäre unsozial und fortschrittsfeindlich.

https://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/wirtschafts-finanz-steuerpolitik/++co++f0a04068-8aaa-11ee-9e56-001a4a160123

Abb. (PDF): Internationale Vergleiche von Verschuldungsraten