Politische Berichte Nr.01/2024 (PDF)22a
Kalenderblatt

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Kalenderblatt: 1. Januar 1804 Haiti: „Alle Menschen sind Menschen“

Die Sklaven erkämpfen Freiheit und Unabhängigkeit

Christiane Schneider, Hamburg

Im August 1791 griffen Sklaven in Saint-Domingue, dem heutigen Haiti,1 zu den Waffen, um ihre Freiheit zu erkämpfen. Der Kampf weitete sich schnell aus und endete am 1. Januar 1804 mit der Unabhängigkeit Haitis und der Aufhebung der Sklaverei. Damit war er der einzige erfolgreiche Sklavenaufstand in der Geschichte der Sklaverei.

1510 hatte das erste Schiff mit 50 westafrikanischen Sklaven die Insel erreicht, damals noch spanische Kolonie. In Europa war Zucker zu einem zunehmend begehrten Luxusgut geworden. Auf Haiti entstanden erste Zuckerplantagen. Die indigene Bevölkerung, von den Kolonialherren zur Sklavenarbeit gezwungen, wurde durch die unerträglichen Lebensbedingungen bis 1540 fast vollständig ausgerottet. Mit dem Aufschwung der Plantagenwirtschaft nahmen die Nachfrage nach billigen Sklaven und damit der europäische Handel mit Menschen aus Afrika enorm zu. Dabei stieg die Zahl der Sklaven kaum an: Das brutale Arbeitsregime senkte ihre verbleibende Lebenserwartung auf durchschnittlich sieben Jahre. So stieg Haiti zum wichtigsten Produzenten von Zucker und Kaffee auf, zur ertragreichsten französischen Kolonie.

Die Bevölkerungsstruktur Haitis unterschied sich von denen anderer europäischer Kolonien in den Amerikas, die in der Regel aus europäischen Sklavenhaltern und meist afrikanischen Sklaven bestanden. In Haiti gliederte sich die Gesellschaft teils nach Hautfarbe, teils nach ökonomischem Status in vier Klassen, deren Interessen unterschiedlich, wenn nicht entgegengesetzt waren: Rund eine halbe Million, fast 90%, „waren das Eigentum einer anderen Person“, schreibt der Historiker Philipp Hanke.2 Die restlichen gut 10% setzten sich zusammen aus Kreolen, d.h. Menschen europäisch-afrikanischer Abstammung, die frei, oft selbst Plantagenbesitzer und reich, aber aus rassistischen Gründen entrechtet und aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen waren. Weiter aus „petits blancs“, „kleinen Weißen“, meist Aufseher, Händler, Angestellte oder Handwerker, sowie „grands blancs“, europäischen Sklavenhaltern, deren Reichtum ausschließlich auf Sklavenarbeit beruhte.

Der Kampf um Befreiung und Unabhängigkeit

Gleich zu Beginn der französischen Revolution hatte die Nationalversammlung 1789 die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ verabschiedet, die u.a. das Recht auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und auf Widerstand gegen Unterdrückung formulierte. Die Menschenrechte galten indes nicht für Frauen und schon gar nicht für die Sklaven in den Kolonien. In Haiti begann ihr Aufstand 1791 mit der Rebellion von zunächst 2000 Sklaven. Die Sklaven waren gut vernetzt, und innerhalb von nur drei Monaten entstand eine 80 000 Personen starke bewaffnete Streitmacht, darunter zahlreiche Frauen.

Es ist davon auszugehen, dass viele Sklaven über die Ereignisse in Frankreich informiert waren. Ein weit verbreiteter Kampfruf lautete: „Alle Menschen sind Menschen“. Treibende Kraft des Aufstandes war ihr Wunsch, ein Stück eigenes Land zu bebauen und nicht mehr als Unfreie zu Tode geschunden zu werden.

Es gelang der Kolonialarmee nicht, den Aufstand zu zerschlagen. Unter diesem Eindruck verabschiedete die französische Nationalversammlung 1793 die Aufhebung der Sklaverei. Kurz danach landeten britische Truppen auf Haiti: Frankreich stand im Krieg gegen eine Koalition europäischer Mächte unter Führung von Österreich, Preußen und Großbritannien. In dieser Situation gelang es Toussaint L‘Ouverture, ein freigelassener Sklave, gebildet und kampferfahren, die Aufständischen zu vereinigen und die feindlichen Truppen zu schlagen. 1801 ließ Toussaint eine erste Verfassung Haitis ausarbeiten, nach der Haiti Teil Frankreichs blieb, aber Diskriminierung verboten und die Sklaverei abgeschafft wurden. Doch gleichzeitig zementierten die Artikel 14 und 15 „die Plantage als Herzstück der kolonialen Wirtschaft“.3 Für die jetzt freien Arbeiter galt ein rigider Arbeitszwang, der Erwerb eigener Parzellen war ihnen untersagt.

Auf Befehl Napoleons landeten 1802 über 20 000 französische Soldaten auf Haiti. Ihr Auftrag war es, Toussaint L‘Ouverture festzunehmen, den Aufruhr niederzuschlagen und die Wiedereinführung der Sklaverei durchzusetzen. Toussaint wurde festgenommen und starb in einem französischen Kerker den Erfrierungstod. Die Truppen der Schwarzen jedoch schlugen die französischen Truppen in einer alles entscheidenden Schlacht im November 1803 unter der Führung von Touissaints Nachfolger Dessalines.

Eine Antwort auf Rassismus

Am 1.1.1804 erklärte Haiti als erste einst europäische Kolonie in den Amerikas seine Unabhängigkeit. Die ersten beiden Artikel der neuen Verfassung von 1805 bekräftigten die Unabhängigkeit und die Abschaffung der Sklaverei. So ist der Kampf der Sklaven auf Haiti in der Geschichte der Menschenrechte ein großer Schritt, auch wenn er bis heute wenig gewürdigt wird. Von den europäischen Kolonialmächten und den USA gehasst und bedroht, wurde Haiti für die Unabhängigkeitskriege und vor allem für die Sklaven in den Amerikas zu einem wichtigen Fanal.

Die brutale, europäisch organisierte Sklaverei in Nord- und Südamerika, „die die gewaltsame, ökonomisch motivierte und staatlich sanktionierte Verschleppung von ungefähr zwölf Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern einschloss“ (4), bedurfte einer Rechtfertigung. Sie fand sie in der Konstruktion von Rassen, die nicht nur die die Ungleichheit der Menschen, sondern eine Rangordnung, eine hierarchische Stufung der Menschheit legitimierte, in der die Schwarzen auf die unterste Stufe verwiesen wurden. Damit wurden Versklavung und Vernichtung durch Sklavenarbeit legitim.

Der moderne Rassismus, „jener soziale Konstruktionsprozess angeblich natürlicher Ungleichheit“ (5), ist ein Produkt des europäischen Kolonialismus. Zu den Begründern gehören Aufklärer wie Montesquieu, Kant, Hume oder Voltaire. Haitis Verfassung von 1805 enthält in Artikel 14 die harte Kritik und Zurückweisung:

„Da alle Akzeptanz der Farbe unter den Kindern ein und derselben Familien, deren Vater der oberste Richter ist, notwendig aufhören soll, so sollen die Haitianer von nun an nur noch unter der allgemeinen Bezeichnung der Schwarzen bekannt sein.“6

Das schloss etwa die ehemaligen deutschen und polnischen Soldaten ein, die aus Napoleons Truppen desertiert waren und auf Haiti lebten.

Unvollendete Befreiung

Haiti gilt heute als gescheiterter Staat und ärmster Staat der Welt. Warum Haiti scheiterte, scheint bisher wenig erforscht. Ein Grund ist mit Sicherheit, dass seine Unabhängigkeit noch lange durch Frankreich und zunehmend auch die USA bedroht war und das Land sich deshalb eine große und deshalb kostspielige Armee leisten musste. Vor allem aber zahlte das Land einen ungeheuerlich großen Preis für die Anerkennung durch Frankreich 1825: 150 Mio. Gold-Francs als Entschädigung für den verlorenen Besitz, die befreiten Sklaven und ihre Arbeit. Nur durch immer neue Kreditaufnahmen konnte das Land die fälligen Raten zahlen. Allein die jährlich anfallenden Zinsen machten 15% des Sozialprodukts aus. Erst 1950 zahlte das Land die letzte Rate. Die Folge der Zwangszahlungen: „Weil die Zins- und Schuldzahlungen nur durch Exportzölle finanzierbar waren, musste Haiti seine Ökonomie auf den Export von Kaffee, Blauholz und anderen Naturprodukten ausrichten.“7 Unter diesen Bedingungen war es wahrscheinlich unmöglich, die Plantagenwirtschaft zu überwinden und die Befreiung vom Kolonialsystem zu vollenden. Der Einbruch der Kaffeeexporte, die Zerstörung der Landwirtschaft durch Abholzung und Export nahezu der gesamten Bestände an Tropenholz und Naturkatastrophen trieben das Land in den Ruin.

1 Seit 1697 war der westliche Teil der Insel, das heutige Haiti, französische Kolonie, während der östliche Teil, das heutige Santa Domingo, unter spanischer Herrschaft verblieb; 2 Philipp Hanke, Revolution in Haiti, Köln 2017; 3 Philipp Hanke, ebd. S. 129; 4 Wulf D. Hund, Rassismus, Bielefeld 2007, S. 22f.; 5 Ebenda S. 35; 6 Quelle: https://en.wikisource.org/wiki/Constitution_of_Hayti_(1805), Übersetzung aus dem Englischen mit deepl; 7 Siehe www.inkota.de/news/die-schuld-der-eigenen-befreiung