Politische Berichte Nr.01/2024 (PDF)24
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

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Seeminen im Schwarzen Meer – Die Rolle der Türkei

Ulli Jäckel, Hamburg

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sorgen Seeminen im Schwarzen Meer für eine Gefährdung der Schifffahrt. Bereits kurz nach Kriegsbeginn hatte die Ukraine ihre Häfen und Küsten vermint, um sich gegen Angriffe vom Meer aus zu schützen. Im Zuge der Blockade der ukrainischen Häfen soll auch Russland Minen gelegt haben. Dabei handelt es sich vor allem um sogenannte Ankertauminen, die durch eine Kette an einem Gewicht auf dem Meeresgrund hängen und unter der Meeresoberfläche schweben. Diese können sich losreißen, im Meer herumtreiben und dadurch zu einer unberechenbaren Gefahr werden.

Minengefahren im Schwarzen Meer

Bereits kurz nach Ausbruch des Krieges wurde im März 2022 der Bosporus gesperrt, weil die türkische Marine eine treibende Mine entschärfen musste. Auch vor der rumänischen Küste wurden zu dieser Zeit bereits Minen entdeckt. Am 14. Juni 2023 sprach der rumänische Marinestabschef von 74 Seeminen, die die Seestreitkräfte im Schwarzen Meer neutralisiert hätten: 55 durch die Ukraine, sieben von Rumänien, sechs von der Türkei, vier von Bulgarien und zwei von Georgien.

Seither kam es zu mehreren weiteren Zwischenfällen: Im August explodierte eine Mine in der Nähe eines rumänischen Badeortes; Anfang Oktober kollidierte ein türkisches Stückgutschiff vor der rumänischen Küste mit einer Mine und wurde beschädigt; im November wurde ein Getreidefrachter vor der ukrainischen Küste beschädigt und Ende Dezember kam es zu einer Explosion in der Nähe des Hecks des Frachters Vyssos nahe der Donaumündung.

Die Urheber der Minen sind schwer auszumachen, weil sowohl die Ukraine als auch Russland zum Teil Minen aus sowjetischen Beständen verwenden. Dies bildet auch die Grundlage für gegenseitige Schuldzuweisungen der Kriegsparteien.

Anders als Antipersonenminen sind Seeminen nicht international geächtet.

Das 8. Haager Abkommen erlaubt Staaten, in bewaffneten Konflikten ihre Häfen und Küsten gegen feindliche Angriffe von Seeseite zu schützen. Allerdings müssen diese Sperren wirksam überwacht und muss die zivile Schifffahrt über die Verminung informiert werden. Entsprechend hatte die Ukraine eine Warnung ausgesprochen, als sie ihre Küstengewässer im Nordwesten des Schwarzen Meeres im März großflächig verminte.

Minenbekämpfung durch Anrainerstaaten

Am 11. Januar haben die Türkei, Rumänien und Bulgarien in Istanbul ein Abkommen über die Bildung einer Einsatzgruppe unter gemeinsamem Kommando zur Minenräumung geschlossen. Dafür wollen sie jeweils drei Minensuchboote zur Verfügung stellen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Staaten lehnt die Türkei eine stärkere Präsenz der Nato im Schwarzen Meer ab

Wenige Tage zuvor verweigerte die Türkei zwei britischen Minensuchbooten, die der Ukraine zur Verfügung gestellt werden sollten, die Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus ins Schwarze Meer. Dabei verwies sie auf das Abkommen von Montreux (Vgl. PB 5/2023, S.3). Danach kann die Türkei die Durchfahrt von Schiffen kriegführender Staaten untersagen. Dies hatte die Türkei bereits seit dem Beginn des Krieges im Februar 2022 so praktiziert, indem sie auch russischen Kriegsschiffen die Passage verbot.

Die SWP-Wissenschaftler Isachenko und Swistek schreiben: „Ankara betrachtet den Vertrag von Montreux als Instrument der regionalen Sicherheit, das nicht nur den eigenen Interessen, sondern auch denen der Anrainer- und Nicht-Anrainer Staaten dienen soll. Dies wurde zuletzt erneut in der Art und Weise offenbar, wie Ankara sich am 28. Februar 2022, vier Tage nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine, auf das Übereinkommen berief. Unter Bezugnahme auf Artikel 19, der die Durchfahrt von Kriegsschiffen kriegführender Akteure betrifft, erklärte der damalige türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, dass ,alle Länder, ob Anrainer oder nicht, gewarnt wurden, Kriegsschiffe durch die Meerenge zu schicken.‘ Damit reagierte Ankara auf die Forderung der Ukraine, die Meerenge für russische Kriegsschiffe zu schließen, und minimierte zugleich mit Bedacht ein Eskalationspotential.“ Dies Vorgehen stehe im Zusammenhang mit dem Bestreben der Türkei, „… die Führungsrolle des eigenen Landes in der Region gegenüber der Nato zu sichern. Als die USA im Jahr 2005 die Nato-Seeraumüberwachungsoperation ,Active Endeavour‘ vom Mittelmeer auf das Schwarze Meer ausdehnen wollten, stießen sie auf großen Widerstand der Führung in Ankara. Diese argumentierte, die Nato sei bereits mit der Türkei als Bündnispartner in der Region ausreichend vertreten. Um für Sicherheit im Schwarzen Meer zu sorgen, hat die Türkei eigene Strukturen und Kooperationsangebote initiiert. Bereits 2001 rief sie einen regionalen ständigen Kooperationsverband, die BlackSeaFor, ins Leben. (…) Im Jahr 2004 startete die Türkei die nationale Operation Black Sea Harmony (…) Die türkische Regierung hat seither allen Anrainerstaaten, auch Russland, eine Beteiligung an dieser Mission und den dafür eingerichteten Strukturen angeboten.“ (SWP-Aktuell 36, Juni 2023). Diese Politik ermöglicht es der Türkei zugleich, als Vermittler zwischen den Kriegsparteien, etwa im Falle des Getreideabkommens aufzutreten.

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„Abkommen über die Legung von unterseeischen selbsttätigen Kontaktminen“

Sog. VIII. Abkommen der Haager Friedenskonferenz von 1907, Den Haag am 18.Oktober 1907

Art.1 Es ist untersagt:

1. unverankerte selbsttätige Kontaktminen zu legen, außer wenn diese so eingerichtet sind, dass sie spätestens eine Stunde, nachdem der sie Legende die Aufsicht über sie verlorten hat, unschädlich werden;

2. verankerte selbsttätige Kontaktminen zu legen, wenn diese nicht unschädlich werden, sobald sie sich von ihrer Verankerung losgerissen haben;

3. Torpedos zu verwenden, wenn diese nicht unschädlich werden, nachdem sie ihr Ziel verfehlt haben.

Art.2 Es ist untersagt, vor den Küsten und Häfen des Gegners selbsttätige Kontaktminen zu legen zu dem alleinigen Zwecke, die Handelsschifffahrt zu unterbinden.

Art.3 Bei der Verwendung von verankerten selbsttätigen Kontaktminen sind für die Sicherheit der friedlichen Schifffahrt alle möglichen Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Die Kriegführenden verpflichten sich, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass diese Minen nach Ablauf eines begrenzten Zeitraums unschädlich werden; auch verpflichten sie sich, falls ihre Überwachung aufhört, die gefährlichen Gegenden den Schifffahrtskreisen, sobald es die militärischen Rücksichten gestatten, durch eine Bekanntmachung zu bezeichnen, die auch den Regierungen auf diplomatischem Wege mitzuteilen ist.

Art.4 Jede neutrale Macht, die vor ihren Küsten selbsttätige Kontaktminen legt, soll dieselben Regeln beachten und dieselben Vorsichtsmaßregeln treffe, wie sie den Kriegführenden zur Pflicht gemacht sind. (…)

Art.5 Die Vertragsmächte verpflichten sich, nach Beendigung des Krieges alles, was an ihnen liegt, zu tun, um, jede auf ihrer Seite, die gelegten Minen zu beseitigen. (…)

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