Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)13a
Aus Kommunen und Ländern

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Solidarisch gegen Energiearmut. Thorsten Jannoff. Aufgrund der aktuellen politischen Spannungen und auch aus weiteren Gründen („greenflation“) steigen die Preise für Energie massiv. Darunter leiden vor allem Menschen in prekären Verhältnissen. Eine Verbesserung der Lebenssituation dieser Menschen gehört zwar vorrangig zu anderen gesellschaftlichen Feldern als der Kommunalpolitik, insbesondere zur Tarifbewegung und der Bildungspolitik. Aber auch auf kommunaler Ebene können nicht wenige Stellschrauben für eine solidarische Unterstützung gegen „Energiearmut“ bedient werden. Wir berichten über Beispiele aus Bremen, Hannover, Köln und Essen.

Kommunale Beratungsstelle gegen Energiearmut nach Wiener Modell

01 info Die Erfahrungen der Wiener Ombudsstelle

Jörg Detjen, Köln

Seit Monaten ist das Thema Energiepreisentwicklung in aller Munde und in den Medien. Bereits Mitte Oktober fand dazu ein EU-Gipfel statt, an dem noch Angela Merkel teilgenommen hat. In einer Mitteilung zum Thema erklärte die EU-Kommission:

„Ziel der … dargelegten Maßnahmen ist es, auf den derzeitigen Anstieg der Energiepreise zu reagieren und einen Beitrag zu einer sozial gerechten und nachhaltigen Energiewende zu leisten.“

Bereits Ende letzten Jahres reagierten verschiedene EU-Länder, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland mit Hilfsprogrammen. Nach einem Vierteljahr nun auch die neue Bundesregierung:

„Etwa 2,1 Millionen Menschen sollen in diesem Jahr einen einmaligen Heizkostenzuschuss erhalten – vor allem Wohngeld-Haushalte und Studierende mit BAföG. Damit will die Bundesregierung gezielt Einkommensschwächere von den stark gestiegenen Energiekosten entlasten. Das Kabinett hat das Heizkostenzuschussgesetz nun auf den Weg gebracht.“

Die Maßnahmen der Bundesregierung sind nicht nachhaltig und auch nicht sozial gerecht, wie die EU-Kommission fordert. Die Strompreiserhöhungen für Hartz-IV-Empfänger sind nicht berücksichtigt. Die Einmalzahlungen sind keine dauerhafte Lösung. All diese Argumente haben einige Sozialverbände und soziale Träger zu Recht vorgebracht. Trotzdem hat diese Bundesregierung zum ersten Mal seit 20 Jahren überhaupt auf die zahlreichen Hinweise der EU-Kommission reagiert. Es bewegt sich etwas und es wäre klug, wenn soziale Verbände, die Gewerkschaften und Die Linke sich in dieses Thema intensiv einmischen würden. Selbst Manager von großen Energiekonzernen räumen ein, dass eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze unverzichtbar sei. Tacheles e.V., ein wichtiger Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein, fordert den Regelsatz auf 6xx Euro zu erhöhen.

Verdoppelung der Energiepreise

Als Mitglied in einem Aufsichtsrat eines Stadtwerke-Konzerns erhält man viele Hintergrundinformationen. Man muss faktisch von einer Verdoppelung der Energiepreise in den nächsten Jahren ausgehen. Nur die Energieunternehmen, die Strom über zwei bis drei Jahre im Voraus eingekauft haben, können sich jetzt halten. Über 50 kleinere Energieunternehmen sind bereits Konkurs gegangen, die nur tagesaktuell Strom gekauft hatten. Es ist geradezu absurd, dass inzwischen die kommunalen Grundversorger an den Pranger gestellt werden, weil sie Kunden von konkursgegangenen Unternehmen höhere Preise berechnen. Gerade hier müsste die Bundesregierung eingreifen und die Grundversorger, oft kommunale Stadtwerke, bei der Abwickelung der Probleme unterstützen. Zehntausende von Kunden wechseln das Energieunternehmen. Vermutlich sind davon die Hälfte Menschen mit geringem Einkommen und die andere Hälfte Wechselkunden.

Eine CO2-Bepreisung von Energie wird in nächsten Jahren dazu führen, dass die Preise weiter dramatisch ansteigen werden.

Die jetzt diskutierte Abschaffung der EEG-Umlage wird das Problem der Energiepreise nicht lösen. Nur durch Subventionierung der Energiepreise durch den Bund, wie auch immer, wird dieses Problem zu lösen sein. Das wird die Bundesregierung aber nicht tun.

Präventive Angebote auf kommunaler Ebene

Bei den Menschen mit wenig Einkommen, vor Ort, in den Kommunen, wird die Energiearmut in den nächsten Jahren entstehen. Finanziell können die Bundesländer helfen. Siehe dazu die Beispiele aus Niedersachsen und Bremen mit sozialen Hilfefonds. In Köln hat der Sozialausschuss auf Initiative der Linken und der SPD einstimmig ein Maßnahmenpaket beschlossen, um präventiv zu helfen durch die Stadt, das Jobcenter und die kommunalen Stadtwerke (RheinEnergie).

Stromsperren

Aussetzen der Strom- und Gassperren im Winter ist seit Jahren immer wieder eine zentrale Forderung, die inzwischen alle demokratischen Fraktionen mittragen. 2019 ist eine gute Vergleichszahl, da waren es beim kommunalen Unternehmen 7360 Personen. Seit der Pandemie wurde ab 2020 weniger Personen der Strom abgestellt, es waren 5010, 2021 dann 3173. 60 % aller Betroffenen sind älter als 50 Jahre. D.h. Stromsperren und Altersarmut korrespondieren. Andere private Stromanbieter weigern sich, Zahlen an die Kölner Stadtverwaltung weiterzugeben.

Ratenzahlungen und Nichtprüfungsgrenzen

Stromschulden sollen in Ratenzahlungen umgewandelt werden oder durch die Kommune übernommen werden. Die Nichtprüfungsgrenze für Heizkosten für SGB II- und SGB XII-BezieherInnen soll deutlich angehoben werden, damit Betroffene ihre Wohnung behalten oder entsprechend umziehen zu können.

Ombudsstelle Energiearmut und StromsparCheck

Seit 2008 ist Energiearmut immer wieder ein Thema. Damals wurde das Projekt StromsparCheck geschaffen. Jedes Jahr wurden ca. 500 Haushalte besucht. Der Träger des Projektes, der Caritasverband weist darauf hin, dass bei einer Dreizimmerwohnung Einsparungen von jährlich 180 Euro erbracht werden können und 59 Euro Soforthilfe gezahlt werden können. Im ersten Jahr können 500 kg CO2 eingespart werden und langfristig 3 000 kg. 500 Checks führt die Caritas im Jahr durch. Es können jährlich CO2 Einsparungen von 250 000 kg erreicht werden.

Der Sozialausschuss und das kommunale Energieunternehmen RheinEnergie wollen jetzt aber noch einen Schritt weitergehen und eine Anlaufstelle gegen Energiearmut schaffen. Vorbild ist das Projekt einer Ombudsstelle gegen Energiearmut in Wien. Hier sollen die Angebote der Kommune, des Jobcenters, der Schuldnerberatungen und des Energieunternehmens gebündelt werden, um den Menschen konkret und sofort helfen zu können. Verbunden werden muss das mit einem sozialarbeiterischen Ansatz, gegebenenfalls kann das Projekt StromsparCheck mit einbezogen werden.

Mit diesem Angebot übernimmt das Energieunternehmen auch soziale Verantwortung und schielt nicht nur auf den Gewinn. Denn eines ist in den letzten Jahren beim ständigen Dialog über dieses Thema deutlich geworden: Das Unternehmen muss mit ihren Kunden viel mehr kommunizieren, soziale und präventive Angebote machen. Da haben alles davon, die Betroffenen und das Unternehmen. Und das Projekt ist ausbaufähig: Soziale Tarife und ein sozialer Hilfefonds sind anzustreben.

Abb.(PDF): Kamagnenlogo Köln

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info Die Erfahrungen der Wiener Ombudsstelle

Die Erfahrung (nicht nur) der Ombudsstelle zeigt, dass Menschen in schwierigen Lebenssituation teilweise nicht ausreichend ihren Energieverbrauch und die Begleichung ihrer offenen Rechnungen im Blick haben, da für sie durch akute prekäre Lebensumstände andere Themen (Krise, Krankheit) vorrangig sind. Die jeweiligen Lebensumstände der Menschen in Härtefallsituationen sind immer individuell. Um den Betroffenen wirksam zu helfen, reicht eine punktuelle Intervention in der Regel nicht aus. Vielmehr ist eine über einen gewissen Zeitraum (meist mehrere Wochen bis zu einem halben Jahr) dauernde Begleitung erforderlich. Wesentlich ist, dass die Ombudsstelle gemeinsam mit allen beteiligten sozialen Einrichtungen eine auf den Individualfall abgestimmte Lösung erarbeitet. Für diese Beratung sind MitarbeiterInnen erforderlich, die auch über eine entsprechende sozialarbeiterische Expertise verfügen. Für die Ombudsstelle wurde daher eingangs eine Sozialarbeiterin mit langjähriger Berufserfahrung eingestellt. Mittlerweile sind hier drei MitarbeiterInnen beschäftigt.

Die Wien Energie Ombudsstelle ist zugleich Dienstleister für alle Unternehmen im Konzernbereich Energie, die mit dieser Thematik zu tun haben. Etwa 2 000 HaushaltskundInnen wurden bereits oder werden derzeit von der Ombudsstelle betreut. Das ist einerseits eine vergleichsweise geringe Zahl angesichts der 105 000 Wienerinnen und Wiener, die ihre Wohnung nicht angemessen beheizen können. Andererseits wurde und wird gezielt circa 5 000 Menschen (bei 1 bis 4 Personen je Haushalt) geholfen, die sich in besonders schwierigen Lebenssituationen befinden oder befanden.

Die bisherigen Leistungen von Wien Energie samt der Ombudsstelle umfassen u.a.:

• Erleichterungen im Umgang mit Energieschulden (wie u.a. Abklärung sozialer Ansprüche und Sozialberichte für Anträge, zusätzliche Ratenpläne über Standard hinaus, PrePayment (Stromzähler) für laufende Versorgung und Begleichung von Altforderungen (Strom und Gas),

• finanzielle Erleichterungen (wie u.a. Storno von Mahngebühren und externen Inkassoaufträgen und Anwaltsverfahren, Storno oder Reduzierung von Ab-/Einschaltkosten oder von Barsicherheiten oder Verzicht auf Montagekosten bei Wiedermontage)

• Förderung der Energieeffizienz (u.a. kostenloser Verleih von Stromverbrauchsmessgeräten, kostenfreie Energieberatung)

Durch die Einrichtung der Ombudsstelle hat bei Wien Energie ein Umdenken im Zugang zu dieser KundInnengruppe begonnen. Früher herrschte eher die Haltung vor, dass KundInnen, die ihre Zahlungen nicht vertragsgemäß leisten, eine Belastung für das Unternehmen sind und sich in gewisser Hinsicht unfair gegenüber dem Unternehmen verhalten, da sie Leistungen in Anspruch nehmen, dafür aber nicht entsprechend bezahlen wollen. Durch die Arbeit der Ombudsstelle, also durch das systematische Befassen mit dieser KundInnengruppe, besteht nun ein anderes Verständnis für die soziale Situation, in der sich viele der KundInnen mit Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungsbegleichung befinden. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Dienstleistungsbereich wie etwa der Forderungsbetreibung oder dem Kundendienst sind für das Thema sensibilisiert und fragen oft in der Ombudsstelle nach, bevor sie „harte“ Maßnahmen ergreifen.

Quelle: Materialien der Wiener Stadtwerke zur nachhaltigen Entwicklung Nummer 8: Herausforderung Energiearmut und der Beitrag der Wiener Stadtwerke