Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)24b
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

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Angriffe auf die Erinnerung – zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus

Rosemarie Steffens, Langen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat die Angriffe der extremen Rechten auf die Erinnerungskultur und deren Anteil am Anwachsen des Antisemitismus in Deutschland untersucht. „Momentan wird die Rolle der extremen Rechten kaum diskutiert, weil der Blick … auf die islamistischen und linken Gruppierungen gerichtet ist, die den Hamas-Terror verherrlichen und eine Grundlage für weitere antisemitische Vorfälle in Deutschland schaffen. Im Windschatten der Terror-Verherrlichung setzt die extreme Rechte ihre Angriffe auf die Erinnerung fort.“

In Saarbrücken wurde am Wochenende vom 14. bis 15. Oktober ein Gedenkstein mit der Inschrift „Nie wieder Faschismus“, der an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, mit einer Palästina-Flagge besprüht. Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Mitglied im Landtag Sachsen-Anhalts sagte: „ … Israel straft die Palästinenser kollektiv für die Verbrechen der Hamas.“ Es seien nur die einzelnen Täter*innen, niemals ein ganzes Volk zur Verantwortung zu ziehen. Dies sei ein „Verstoß gegen Menschenrecht“, und er ergänzte: „Genau das Gleiche gilt für die Deutschen und den Holocaust. Man kann nicht das ganze deutsche Volk in Verantwortung ziehen für die Verbrechen einiger weniger.“

Antisemitismus wird für eine Demontage der Erinnerungskultur genutzt. Jede Art von Antisemitismus bringt auch einen Ruf nach einem Schlussstrich mit sich. Schon vor dem Terrorangriff hatte Jens-Christian Wagner, der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora (Thüringen), einen „erinnerungspolitischen Klimawandel“ festgestellt. Die Angriffe auf die Erinnerung behinderten die Arbeit der Gedenkstätten massiv. Wöchentlich wurden zuletzt Hakenkreuz-Schmierereien in Buchenwald entdeckt.

Die extreme Rechte führt einen Deutungskampf um den Nationalsozialismus, um die Shoah und den Zweiten Weltkrieg. Ein Ziel ist dabei, Alliierte zu Tätern und Deutsche zu Opfer zu machen. Nach Höckes Aufforderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und Gaulands Hinweis, die Deutschen hätten „das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ erklärte Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher.“ Die AfD-Co-Vorsitzende Weidel lehnt es ab, die „Niederlage des eigenen Landes zu befeiern mit einer ehemaligen Besatzungsmacht“. In von Weizsäckers Rede vom 8. Mai 1985 wurde das erste Mal das Kriegsende als Befreiung gekennzeichnet – Beginn einer neuen Phase der Erinnerungs- und Gedenkkultur. Weidel will offenbar dahinter zurück, in eine Zeit des Beschweigens der nationalsozialistischen Verbrechen.

Ein weiteres Beispiel einer Umdeutung: Lange galt, wer vom „Zivilisationsbruch“ spricht, meint die Shoah. Björn Höcke sprach bereits 2016 von einem „Kultur- und Zivilisationsbruch historischen Ausmaßes“. Er meinte aber nicht die Shoah, sondern: „Es geht, vor dem Hintergrund einer nie dagewesenen Migration, um nichts Geringeres als unser Deutschland und unser Europa vor einem Kultur- und Zivilisationsbruch historischen Ausmaßes, ja, einer kulturellen Kernschmelze zu bewahren.“ Das Verständnis der Shoah als Zivilisationsbruch wird relativiert.

2023 sprach Höcke gar vom „singulären Zivilisationsbruch“, offensichtlich eine Anspielung auf die Singularitätsthese der Shoah, die betont, dass mit der systematischen Ermordung der europäischen Jüdinnen*Juden etwas so noch nie Dagewesenes geschehen ist. Höcke sagte am 17. Juni 2023: „Die amerikanische Führung hat 1945 einen singulären Zivilisationsbruch vollzogen, nämlich den Abwurf von Atombomben auf zwei große japanische Städte.“ Die Alliierten, nicht die Deutschen, sollen als Verantwortliche eines einzigartigen Zivilisationsbruchs gelten – Teil einer sukzessiven Verschiebung, die in der Sprache beginnt.

Nazi-Gedenkaktionen wie der Heimatvertriebenen-Gedenktag (Der Dritte Weg), der „Trauermarsch“ anlässlich der Bombardierung Dresdens (Aktionsbündnis gegen das Vergessen, ein Bündnis der Neonazi-Szene), die Kranzniederlegung mit Aufschrift „Den zivilen Opfern des alliierten Bombenterrors / In stillem Gedenken – AfD Bundestagsfraktion“ sollen das ihre tun zur Umdeutung der deutschen NS-Geschichte.

www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/zivilgesellschaftliches-lagebild-antisemitismus-12/